Der Ring des Sarazenen
Geruch hing in der Luft, und von weiter her drang ein Durcheinander von Geräuschen und Stimmen zu ihr, das ein sonderbar vertrautes Gefühl in Robin erweckte. Sie versuchte vergebens, die kalten Schauer zu unterdrücken, die einer nach dem anderen ihren Rücken herabliefen. Es war die pure Angst: All ihr Mut, all ihre tapferen Vorsätze und all das, was sie selbst geglaubt und sich immer wieder mit Erfolg eingeredet hatte, waren dahin. Ihr Schicksal würde sich heute erfüllen. Nicht irgendwann, nicht in ein paar Tagen, sondern jetzt, hier, innerhalb der nächsten Minuten.
Nach einer Weile wurde die Tür geöffnet und Naida trat ein. Robin warf einen Blick an der alten Sklavin vorbei auf den Gang hinaus und erkannte, dass dort eine ganze Abteilung von Omars Kriegern aufmarschiert war. Omar schien entweder gehörigen Respekt vor ihr und ihrer Entschlossenheit zur Flucht zu haben oder anderem Ärger vorbeugen zu wollen. Bevor sie jedoch eine entsprechende Frage stellen konnte, schob Naida die Tür mit dem Fuß hinter sich zu, und im selben Augenblick öffnete Harun die Vorhänge, sodass die kleine Kammer von blendender Helligkeit überflutet wurde. Das Fenster führte tatsächlich auf den Hof hinaus, aber nicht auf den mit dem Springbrunnen, den Robin schon kannte, sondern auf einen winzigen, vollkommen leeren ummauerten Flecken.
»Zieh das an!«, herrschte Naida sie an.
Robin erkannte erst jetzt, dass die alte Sklavin eine Art Kaftan aus dem durchscheinenden roten Stoff, aus dem auch ihre Hose gefertigt war, über dem unverletzten Arm trug. Sie versteifte sich innerlich. Schon Naidas herrischer Ton weckte ihren Trotz, und sie hatte gute Lust, sich zu widersetzen, aber ein warnender Blick Haruns hielt sie davon ab. Gehorsam, wenn auch nicht ohne Naida mit fast verächtlichen Blicken zu messen, legte sie das Kleidungsstück an. Hinzu kam noch eine Art Kopftuch, das bis weit auf ihren Rücken hinabreichte und aus ebenfalls rotem, jedoch dichterem Stoff gefertigt war, sowie ein gleichfarbiger Schleier, auf dem winzige Goldplättchen aufgenäht waren, die bei jeder noch so kleinen Bewegung klimperten und klirrten. Als Robin endlich alle nacheinander von Naida gereichten Kleidungsstücke angelegt hatte, war sie bis auf den schmalen Streifen über ihren Augen vollständig verhüllt. Dennoch kam sie sich jetzt ausgelieferter und hilfloser vor denn je.
Harun schien ihre Veränderung jedoch zu gefallen, denn er nickte zufrieden. In seinen Augen erschien ein sanftes, Mut machendes Lächeln, als sie seinem Blick begegnete. »Du wirst sehen, mein Honigpferdchen, dass es viel geschickter ist, seine Schönheit langsam und ein bisschen widerspenstig den Blicken frei zu geben, als gleich alles zu zeigen. So wirst du das Verlangen nach dir in Omars Gästen wecken - und natürlich ihre Gier, was wiederum Omar Khalids Geldbeutel füllen wird.«
Naida lachte leise. »Sich nur widerstrebend zeigen… damit wird sie keine Schwierigkeiten haben.«
Harun schenkte der alten Sklavin einen langen, ärgerlichen Blick und wandte sich wieder mit demselben, fast väterlichen Ausdruck im Gesicht an Robin. »Das wirst du nicht, nicht wahr? Du weißt, wie viele Leben davon abhängen, dass Omar dir nicht zürnt.«
»Und wer sagt Euch, dass mir das nicht egal ist?«, fragte Robin. Harun schüttelte mit einem angedeuteten Lächeln den Kopf. »Ich«, sagte er. »Darüber hinaus würde sich sein Zorn vielleicht nicht nur gegen dich und die Knaben unten im Keller richten, sondern auch gegen mich, der ich dein Lehrer war. Also, in Allahs Namen, bedenke wohl, was du tust. Ich werde Omar nun davon unterrichten, dass du so weit bist. Mag er entscheiden, wann der passende Augenblick gekommen ist, dich vor seine Gäste zu führen.«
Während er sich herumdrehte und die Kammer verließ, dachte Robin flüchtig daran, dass jetzt der unwiderruflich allerletzte Augenblick wäre, noch einmal einen Fluchtversuch zu wagen, zumal hier im Zimmer nur Aisha und die alte Sklavin als Wachen zurückgeblieben waren. Das Fenster war nicht vergittert und der winzige Hof draußen, so weit sie erkennen konnte, völlig leer. Selbst die gut zwei Meter hohen Mauern, die ihn umschlossen, stellten für Robin kein unüberwindliches Hindernis dar. Aber wie weit würde sie schon kommen, am helllichten Tage und in diesen Kleidern? Und selbst wenn ihr wider aller Wahrscheinlichkeit die Flucht noch einmal gelingen sollte - Harun hatte völlig Recht. Omar würde keinen Augenblick
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