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Der Ring des Sarazenen

Der Ring des Sarazenen

Titel: Der Ring des Sarazenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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mir.« Er wartete einen Moment vergebens darauf, dass Robin etwas entgegnete; schließlich hob er die Schultern und wandte den Blick wieder nach vorne. Sein Kamel ließ er nicht wieder antraben, sondern hielt es weiterhin neben Robins Tier.
    Offenbar hatte er beschlossen, das letzte Stück des Weges unmittelbar neben ihr zurückzulegen. Statt sich wegen seiner Fürsorge zu ärgern - wie sie es sonst getan hätte -, empfand sie fast so etwas wie Freude. Vielleicht, weil sie mittlerweile so weit war, auch sich selbst gegenüber zuzugeben, dass sie dringend auf Hilfe angewiesen war, vielleicht aber auch, weil sie sich schlicht und einfach nach einem vertrauten Menschen in ihrer Nähe sehnte.
    Nach einer Weile fiel ihr auf, dass Harun den schwarzen Umriss der Festung vor ihnen unverwandt anstarrte. Es war schwer, in dem schwachen Licht und unter all den Spuren von Erschöpfung und Schmutz auf seinem Gesicht irgendeine Regung zu erkennen, aber er sah nicht begeistert aus.
    »Ihr kennt diese Stadt?«, vermutete Robin.
    Harun löste seinen Blick nicht von dem kantigen, schwarzen Flecken in der Nacht und nickte nur. »Omar scheint noch verzweifelter zu sein, als ich angenommen habe«, sagte er kopfschüttelnd. »Oder er hat endgültig den Verstand verloren.«
    »Ihr kennt diesen Ort«, sagte Robin noch einmal. Diesmal war es keine Frage, sondern eine Feststellung.
    »Qasr al-Hir al-Gharbi«, murmelte Harun. »Das ist kein guter Ort.«
    »Wer lebt hier?«, fragte Robin. Haruns Antwort überraschte sie nicht im Geringsten, aber sie gab ihrer Furcht noch mehr Nahrung.
    »Niemand. Aber das heißt nicht, dass er verlassen ist.«
    »Aha«, sagte Robin.
    Sie hatte es sogar irgendwie fertig gebracht, das Wort spöttisch klingen zu lassen, doch als Harun den Kopf drehte und sie ansah, da wirkte er so ernst und erschrocken, dass ihr erneut ein kalter Schauer über den Rücken rann. »Jeder kennt diesen Ort, obwohl kaum jemand je hier gewesen ist. Er ist verflucht. Nur Verrückte oder Lebensmüde wagen sich hierher. Oder Männer, die völlig verzweifelt sind.«
    »Verflucht?« Robin unterdrückte ganz bewusst den Impuls, wieder zur Festung hinzusehen, und Harun fuhr in leisem, bitterernstem Tonfall fort: »Manche nennen ihn auch das Grab der Karawanen, weißt du? Mehr als eine Karawane hat hier schon Rast gemacht, von der hinterher nie wieder jemand gehört oder irgendeine Spur gefunden hätte. Diese Stadt und der Palast wurden schon vor langer Zeit von ihren Bewohnern verlassen. Jetzt gehören sie der Erinnerung und den Geistern. Es ist nicht gut, sie zu stören. Omar sollte das wissen.«
    Und wieder lief Robin ein eiskalter Schauer über den Rücken: Ein Schrecken hatte sich mit Haruns Worten in ihre Seele geschlichen, der sie langsam zu vergiften begann. Sie versuchte vergeblich, die Worte des Tanzlehrers als das zu werten, was sie vermutlich darstellten: Geschichten, mit denen Männer beim Wein im Gasthaus prahlten oder wie sie Mütter ihren kleinen Kindern abends am Feuer erzählten, damit sie nicht auf die Idee kamen, nachts heimlich das Haus zu verlassen.
    Zweifellos war nichts daran. Robin glaubte nicht an Geister, und schon gar nicht passten magische Flüche in ihr Weltbild. Dennoch machte ihr der klobige schwarze Schatten, der in der Dunkelheit vor ihnen emporwuchs, plötzlich Angst.
    Ihr Gefühl wurde nicht besser, als sie die Ruine der uralten Festung endlich erreichten. Wie ein gewaltiger, von Menschenhand erschaffener Berg erhob sich ein riesiges Mauerngeviert mit eingefallenen Ecktürmen vor ihnen in den Himmel, scheinbar ebenso hoch und ungleich beeindruckender. Aus der Nähe betrachtet und im flackernden Licht der Fackeln wirkte die Festung zwar ebenso alt und zerfallen wie die Stadt, über die sie einst gewacht hatte, aber noch immer Ehrfurcht gebietend.
    Die Spitze der Kolonne ritt durch ein gewaltiges Bogentor, das fast unbeschädigt geblieben war und von zwei halbrunden Türmen flankiert wurde, die einen Großteil ihrer Zinnen eingebüßt hatten. Der Torbogen, der mit prächtigen, wenngleich ebenfalls verwitterten Steinmetzarbeiten geschmückt war, spannte sich mindestens drei oder vier Manneslängen über ihnen. Selbst ein Reiter mit aufgepflanzter Lanze hätte keine Mühe gehabt, ihn zu passieren.
    Als Robin darunter hindurchritt, bemerkte sie die schreckliche Zerstörung in den einstmals kunstvoll gearbeiteten Reliefs: Die Köpfe sämtlicher Figuren waren zerschmettert. Was mochten die Bewohner dieses Palastes

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