Der Ring des Sarazenen
ein Stein sank.
4. K APIT E L
Sie war nicht ertrunken, das schloss sie allein aus der Tatsache, dass sie diesen Gedanken denken konnte, als sie das nächste Mal die Augen aufschlug. Und sie befand sich auch nicht mehr auf einem Schiff, denn der Boden, auf dem sie lag, bewegte sich nicht, und es war wunderbar warm und trocken. Das war aber auch schon alles, was sie über sich selbst und ihre Situation wusste.
Robin blinzelte in das sonderbar bräunliche Licht, das sie umgab, schloss die Augen wieder und versuchte sich zu erinnern. Aber die Serie von Bildern in ihrem Kopf hörte mit dem auf sie zusausenden Krummdolch auf, irgendeinen Sinn zu ergeben. Danach folgte keine wirkliche Schwärze, aber ein solches Durcheinander von Gefühlen und aufblitzenden Visionen, dass ihr wirkliches Vergessen beinahe lieber gewesen wäre. Sie musste wieder zu sich gekommen sein, nachdem sie aus dem Schiff gestürzt war, vielleicht durch die Kälte des Wassers oder die Atemnot oder auch beides geweckt. Doch der Funke von Bewusstsein, der sie vor dem Ertrinken bewahrt hatte, war nicht hell genug aufgelodert, als dass sie sich hätte klar an die Zeit danach erinnern können. Instinktiv hatte sie Schwimmbewegungen gemacht, um sich an die Wasseroberfläche zu kämpfen, und sich danach an dem erstbesten Gegenstand festgeklammert, den ihre Hände fanden. Vielleicht ein Trümmerstück, vielleicht auch eine Leiche, von denen Dutzende im Wasser trieben. Alles, was sie noch wusste, war, dass Zeit vergangen war, sehr viel Zeit, in der sie ein paar Mal das Bewusstsein verloren und endlose Ewigkeiten in dem schmalen Zwischenreich zwischen Schlaf und Wachsein verbracht hatte. Irgendwann waren da Stimmen, aufgeregte Rufe und Hände, die nach ihr griffen und sie aus dem Wasser zogen; wer, warum und wohin, vermochte sie nicht zu sagen.
Dennoch war Robin mit dem Ergebnis ihrer Überlegungen zufrieden. Sie war nicht tot und im Himmelreich, sondern höchst lebendig und anscheinend nicht einmal schwer verletzt. Jemand hatte sie aus dem Wasser gezogen und hierher gebracht, und auch wenn sie nicht wusste, wo dieses h ier war - es befand sich an Land, und das war im Moment das Allerwichtigste. Nie wieder würde sie ein Schiff betreten, das schwor sie sich, und wenn sie zu Fuß zurück in die Heimat marschieren musste!
Robin lauschte noch einen Moment lang in sich hinein, konnte aber weder einen Quell größerer Schmerzen noch ein anderes Zeichen lokalisieren, das ihr Anlass zur Besorgnis hätte geben können. So schlug sie die Augen erneut auf und musterte neugierig ihre Umgebung.
Sie konnte nicht besonders viel sehen, und das lag vermutlich an dem seltsamen Licht, das sehr blass und bräunlich gefärbt war. Es war warm. Von irgendwoher drangen Geräusche an ihr Ohr, die sie nicht einordnen konnte, die aber auch nichts Bedrohliches hatten. Zumindest war die Schlacht vorbei.
Robin drehte den Kopf nach rechts und erkannte endlich, wo sie sich befand. Die seltsame Farbe des Lichts rührte von der groben braunen Zeltplane her, durch die es gefiltert wurde. Es war ein längliches Zelt, das fast vollständig leer war. Sie selbst lag auf einem weichen Wollteppich und war mit einer grob gewebten Decke zugedeckt. Der grobe Stoff der Decke kratzte sie am Rücken und an den nackten Beinen. Sie musste nicht erst mit ihren Händen über ihren Leib tasten, um zu wissen, dass sie völlig nackt war. Sie spürte, wie ihr das Blut heiß in die Wangen schoss. Jemand hatte ihr das Templergewand ausgezogen und sie dann in diese Decke gewickelt. War das ein Grund zur Besorgnis?
Sie hoffte, dass es das nicht war. Und doch blieb ein ungutes Gefühl zurück. Jemand hatte sie nackt gesehen. Das konnte sie das Leben kosten. Doch hätten die Templer sie aus dem Wasser gefischt, dann befände sie sich jetzt vermutlich wieder auf einem Schiff. Und wären es die Sarazenen gewesen, wäre sie jetzt wahrscheinlich tot, zumindest aber gefesselt und gut bewacht. Wer aber hatte sie dann aus dem Meer gezogen?
Robin dachte eine Weile angestrengt über diese Frage nach, kam aber zu keinem Ergebnis. Und sie würde sie sicher auch nicht lösen, wenn sie weiter hier herumlag und die Zeltplane über ihrem Kopf anstarrte.
Mit einer entschlossenen Bewegung schlug sie die Decke zurück, erhob sich auf die Knie und bekam prompt einen heftigen Schwindelanfall. Intuitiv spürte sie, dass sie sehr lange hier gelegen hatte, und dennoch war ihr Körper noch vollkommen geschwächt. Womöglich
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