Der Ring des Sarazenen
angenehmer Natur gewesen.
Der Fremde musterte sie wutschnaubend. Eine dicke Zornesader lief längs über seine zerfurchte Stirn. Robin hatte im Verlauf des vergangenen Jahres zwar einige Brocken Arabisch von Salim gelernt, aber sie verstand kein Wort von dem, was der Fremde hervorsprudelte. Schließlich deutete sie übertrieben gestikulierend auf ihr Ohr, machte ein fragendes Gesicht und legte den Kopf auf die Seite.
Der Redeschwall des Arabers wurde noch lauter und sein Ton zorniger. Er gestikulierte immer wieder in ihre Richtung und seine Worte klangen wie grobe Beleidigungen. Robin blickte ihn vollkommen verständnislos an und hätte das vermutlich auch noch eine geraume Weile getan, wäre in diesem Moment nicht eine zweite Gestalt hereingekommen. Es war eine Frau, die ein langärmliges, dunkles Kleid trug. Robin konnte nur ihre Augen erkennen, denn der Rest ihres Gesichts war verschleiert, aber es waren sehr freundliche Augen, die sie mit fast mütterlicher Sorge ansahen. Ihre Bewegung war von fließender Anmut. Sie war ohne Zweifel erheblich jünger als der Bärtige. Ohne viel Federlesens schob sie den Mann aus dem Weg, trat auf Robin zu und zog die Decke, in die sie sich gewickelt hatte, bis weit über ihre Schultern hoch.
Und endlich begriff Robin. Sie hatte sich nichts bei ihrem Aufzug gedacht, schließlich war sie fast vollständig in die Decke gewickelt. Nur ihre Schultern und ihr Hals waren zu erkennen, aber schon die Zurschaustellung von so wenig nackter Haut schien den Mann in helle Aufregung zu versetzen. Er wirkte auch jetzt, da Robin wieder züchtig bedeckt war, nicht wirklich zufrieden, sondern starrte sie weiter finster an. Doch zumindest hatte er aufgehört, wie besessen mit den Händen in der Luft herumzufuchteln und zornig auf sie einzureden.
»Es… es tut mir Leid«, sagte Robin zögernd. »Ich wollte niemanden beleidigen.« Natürlich war ihr klar, dass weder der Mann noch die Frau sie verstehen konnten, doch hoffte sie, dass sie zumindest ihren versöhnlichen Tonfall und das dazugehörige Lächeln verstanden. Der Mann antwortete in finsterem Tonfall, aber die verschleierte Frau kam Robin abermals zu Hilfe. Sie stellte sich schützend zwischen sie und ihn, antwortete mit leisem, aber sehr bestimmtem Tonfall und gestikulierte schließlich zum Ausgang hin.
Es folgte ein kurzes Streitgespräch, das die Frau offensichtlich für sich entschied, denn nach nur wenigen Augenblicken drehte sich der Bärtige herum und verließ das Zelt. Robin atmete innerlich auf. Obwohl sie zu spüren glaubte, dass ihr von diesen Menschen keine unmittelbare Gefahr drohte, hatte ihr der kleine Zwischenfall gerade gezeigt, wie leicht es war, einen Fehler zu begehen, der möglicherweise gefährliche Folgen haben konnte.
»Danke«, sagte Robin. »Ich weiß, dass du mich nicht verstehst, aber ich möchte dir trotzdem danken.«
Es war schwer, in dem fast vollkommen verschleierten Gesicht irgendeine Regung zu erkennen, aber der Blick der dunklen Augen wurde deutlich wärmer. Die Fremde betrachtete sie wortlos und mit einer Mischung aus Zuneigung und freundlicher Neugier, und Robin wurde es für einen Moment warm ums Herz. Sie wusste nichts über diese Frau, nicht einmal ihren Namen, doch nach den zurückliegenden Schrecknissen war es ein wundervolles Gefühl, sich einem Menschen gegenüber zu wissen, der es einfach nur gut mit ihr meinte.
Das Gefühl verging so rasch, wie es gekommen war, und zurück blieb eine noch größere Leere und ein vager Schmerz, der irgendwo am Rand ihres Bewusstseins bohrte, wie ein pochender Zahn, der einen nicht wirklich quälte, aber auch nicht in Vergessenheit geriet. Obwohl sie mit aller Macht dagegen ankämpfte, begannen ihre Hände zu zittern, und ihre Augen füllten sich mit heißen Tränen. Es gelang ihr zwar, sie zurückzuhalten, und dennoch entging ihr Zustand der verschleierten Frau nicht. Sie lächelte, hob die Hand und strich Robin kurz mit den Fingerspitzen über die Wange, ehe sie sich herumdrehte und mit schnellen Schritten das Zelt verließ.
Instinktiv machte Robin eine Bewegung, um sie zurückzuhalten, doch dann verharrte sie mitten im Schritt. Nach dem, was sie gerade erlebt hatte, erschien es ihr wenig ratsam, das Zelt noch einmal zu verlassen; nicht, bevor sie nicht wusste, wo sie überhaupt war und wer diese Menschen waren und welche Absichten sie verfolgten. Und selbst wenn sie niemand daran hindern sollte, dieses Zelt und sogar das Dorf zu verlassen: Wohin hätte
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