Der Ring von Ikribu
der Leiche des letzten Stygiers kniete und seinen Dolch aus dessen Brust zog. Ein wohlgezielter Wurf hatte den Akoluthen getötet.
»Alles in Ordnung?« fragte Olin.
Sonja nickte. »Such den Edelstein, Olin.«
Er suchte den Boden ab, schob mit den Stiefelspitzen das Gras zur Seite. Schließlich stieß er einen leisen Laut hervor, drehte sich auf dem Absatz und schüttelte den Kopf. »Staub«, sagte er zu Sonja und kehrte zu ihr zurück. »Er muss sofort, als er auf dem Boden aufschlug, zersplittert sein – oder er hat sich aufgelöst, als der letzte dieser Burschen starb.« Er stupste die Leiche eines Stygiers mit der Stiefelspitze, dann legte er eine Hand auf Sonjas Schulter. »Geht es dir wirklich wieder gut?«
Sie nickte. »Ja, jetzt schon. Können wir sicher sein, dass sich nicht noch weitere dieser Ikribu-Priester hier herumtreiben?«
Olin schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, nein. Aber jetzt wissen wir wenigstens, wessen Lagerfeuer wir gesehen haben.«
»Ja, weitere werden kommen. Sie sind dahinter her.« Sie öffnete ihren Gürtelbeutel und kramte den Ring heraus.
Olin beugte sich über ihn, da gab Sonja ihn ihm. Es war ein großer Ring und doch wiederum nicht größer als viele gewöhnliche Ringe auch. Doch niemand hätte diesen hier für einen gewöhnlichen Ring halten können. Seine unzähligen Edelsteinsplitter fingen das Sternenlicht ein und brachen es in Tausende bunte Funken, die ihm ein eigenes Leben verliehen.
»Der Ring Ikribus!«
»Pelides darf nicht davon wissen!« mahnte Sonja.
»Natürlich nicht. Das ist die Waffe, die wir brauchen, Sonja.«
»Bist du sicher, Olin? Du hast doch gesagt, du zweifelst, ob...«
»Ja. Pelides sagte mir, es sei ein Ring des Wahnsinns und Unheils, geschaffen von einem Gott der Finsternis. Und doch ist er ebenfalls hinter ihm her. Ich habe nicht die Absicht, den Ring fortzuwerfen, nun, da die Götter ihn uns in die Hände gegeben haben. Was immer mir gegen Asroth helfen mag, ob auch für mich gefährlich oder nicht, werde ich benutzen. Aber es ist jetzt dein Ring, Sonja. Du kannst damit tun, was du für richtig hältst. Willst du ihn aufbewahren, oder soll ich es tun?«
Sie streckte die Hand danach aus. »Ich vertraue dir, Olin, das weißt du. Aber ich habe ihn bis jetzt …«
»Natürlich.« Olin gab ihn ihr zurück. .
»Pelides ahnt nicht, dass ich ihn habe«, sagte Sonja. »Aber er glaubt, ich wüsste, wo er ist. Er hat versucht, durch den Schutt an Sopis’ Leiche heranzukommen.«
»Nun, soll er weiter vermuten, was er will, bis wir zu einem Entschluss gekommen sind. Komm, Sonja. Es wird Zeit, dass wir zurückkehren. Halt den Ring gut versteckt.«
Sie steckte den Ring wieder in ihren Gürtelbeutel und ging neben Olin her zu ihren Pferden. Ihr ungewöhnlicher Liebeskampf war durch den Angriff stygischer Magie unterbrochen, aber nicht vergessen worden. Olin und Sonja wechselten verstohlene Blicke, während sie aufsaßen: Blicke, wie verhinderte Liebespaare sie von jeher wechselten. Doch keiner von beiden sprach. Es gab in dieser Nacht nichts mehr zu sagen.
Allas und Tias teilten ein kleines Gemach in einem oberen Stockwerk im Ostflügel des Palasts. Tias schlief und Allas stand an einem Fenster. Er hatte die Arme auf das Fensterbrett gestützt und blickte still hinaus ins Grau der verlassenen Stadt. Am Ende einer breiten, von dunklen Bäumen und im Mondschein schimmernden Marmorpalästen eingesäumten Ziegelpflasterstraße konnte er das offene Tor sehen, das zum fruchtbaren Ackerland führte.
Eine linde Brise spielte um Allas, als wollte sie ihn trösten, aber sein Herz war zu schwer, als dass sie ihn hätte aus seinem sorgenvollen Grübeln reißen können. So viel Grauen, und die Zukunft in finsteren Schatten verborgen! Nachtvögel heulten, und Allas fragte sich abwesend, weshalb er sie jetzt erst hörte. Aber vielleicht kamen sie nun erst zurück, da die Ausstrahlung der Zauberei Suthad nicht mehr wie unsichtbarer Nebel einhüllte. Am wolkenlosen Himmel glitzerten die Sterne, und Allas dachte über sie nach, wie schon oft seit seiner Kindheit.
Tias drehte sich im Bett um. »Allas«, rief sie schläfrig. »Wo bist du?«
»Hier.« Seine Stimme schallte in der dunklen Stille.
Tias kroch unter der Decke hervor, und das Trippeln ihrer Barfüße näherte sich Allas. »Ich dachte, du schläfst …«
»Ich kann nicht.«
»Hast du dich entschieden, Allas?« Mit sanften Augen schaute sie zu ihm hoch, schmiegte sich an ihn und legte seinen Arm um
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