Der Ring
mich, um mir zu helfen, sackt aber bald nach hinten und sieht an einen Schneehügel gelehnt zu.
Nach einiger Zeit entpuppt sich der Stofffetzen als Ecke einer Decke, die vertikal in der Tiefe verschwindet. Unter der obersten Schicht stoße ich auf Eis, das ich mit meinen tauben Fingern kaum aufbrechen kann. Hand für Hand schaufle ich es aus dem Loch, bis ich auf einmal das Gröbste hinter mir habe und deutlich leichter vorankomme.
Dicke Schneeklumpen prasseln auf meine Kapuze. Was, wenn sich gleich die nächste Lawine löst? Bevor ich weitergrabe, räume ich das Gebiet um uns herum frei.
Als der Schnee nach zwei weiteren Ladungen nachgibt, blicke ich plötzlich in eine Höhle aus Eis und Segeltuch – und entdecke eine junge Frau und einen jungen Mann. Zwei von Julian. Sie atmen, beide, er ist sogar wach. Schnell zerre ich sie an die Oberfläche und lege sie neben ihren Podpartner.
Die beiden männlichen Julians, die bei Bewusstsein sind, klammern sich sofort aneinander und schnappen gemeinsam nach Luft. Plötzlich bin ich zu Tode erschöpft; am liebsten würde ich mich in die Eisgrube fallen lassen und schlafen.
Stattdessen überprüfe ich die beiden Neuankömmlinge auf Knochenbrüche, Prellungen und Symptome der Hypothermie. Die bewusstlose Frau zuckt zusammen, als ich sie bewege; offensichtlich ist ihr Arm gebrochen. Glücklicherweise habe ich ein Stück Seil dabei, ausnahmsweise nicht aus Spinnenseide, sondern aus einem dickeren Material. Ich binde es rasch zu einer Schlinge, um den Arm zu stabilisieren.
»Wach auf«, sage ich, »komm schon.« Keine Reaktion. Ich gebe ihr einen Klaps auf die Wange. Mit einem Mal reißt sie die Augen auf, fährt hoch und keucht, als sie den stechenden Schmerz in ihrem Arm spürt. Sofort sammelt sich ihr Pod um sie – beziehungsweise das, was davon übrig geblieben ist.
Ich weiche zurück, lasse mich in den Schnee plumpsen und blicke hinauf in den Himmel. Aber kaum liege ich auf dem Rücken, stelle ich fest, dass die Schneeflocken erheblich dichter fallen als zuvor. Ich stehe wieder auf und gehe zu den drei Julians. »Wir müssen runter ins Tal.« Falls ein zweites Aircar kommt, um uns zu suchen, wird es eine weitere Lawine auslösen. Und eine weitere Lawine wäre unser sicherer Tod.
Statt zu reagieren, klammern sich die drei mit schlotternden Gliedern aneinander.
»Wir müssen runter ins Tal!«
Verzweiflung überschwemmt die Luft, gefolgt vom Gestank widersprüchlicher Emotionen. Der dezimierte Pod steht unter Schock.
»Kommt schon!«, rufe ich und reiße einen von ihnen hoch.
»Nein … das geht nicht … unser Pod …« Zwischen die Worte drängen sich chemische Gedanken, die ich nicht deuten kann. Der Pod zerfällt.
»Wir müssen los, sonst sterben wir hier oben. Wenn wir nicht bald irgendwo unterkommen, erfrieren wir alle.«
Keine Antwort. Trotzdem weiß ich, was sie denken: Sie würden eher sterben, als ihren Pod aufgeben.
»Ihr seid noch zu dritt«, sage ich. »Ihr seid fast vollständig. « Drei von fünf ist besser als einer von fünf, das müssen sie doch einsehen.
Die drei blicken sich an und verströmen den typischen Geruch des Konsenses, bis sich einer wütend abwendet. Der Konsens ist gescheitert. Sie können es nicht mehr.
Ich plumpse zurück in den Schnee, lasse den Kopf auf die Brust sinken und starre auf die wirbelnden Flocken zwischen meinen Beinen. Früher war ich fünf, denke ich, jetzt bin ich einer. Erschöpfung und Trauer überwältigen mich, ich spüre, wie meine Augen feucht werden.
Normalerweise weine ich nicht, nie, aber jetzt ist mein Gesicht nass. Jetzt weine ich um meinen Pod, den der Schnee unter sich begraben hat. Wo die salzigen Tränen über meine Wangen rollen, brennt die Haut wie Feuer. Ein Tropfen löst sich und verschwindet im Weiß der Lawine.
Es ist vorbei. Wir werden hier oben einschlafen und nie wieder aufwachen.
Mein Blick wandert hinüber zu den drei Julians. Ich muss sie ins Tal bringen, aber wie? Instinktiv frage ich mich, wozu Moira raten würde. Sie wüsste, wie man die drei retten kann.
Ja, sie sind immer noch drei. Wie Mother Redd, wie unsere Lehrer. Sogar der Premier des Overgovernment ist ein Trio. Die drei Julians sind nicht schlechter dran als unsere besten Köpfe, und trotzdem weinen sie. Dazu haben sie kein Recht. Ich habe ein Recht dazu, nicht sie.
Ich richte mich auf. »Auch ich habe meinen Pod verloren, und ich bin nur noch einer! Wenn hier einer heulen darf, dann ich. Ihr seid immer noch drei. Und
Weitere Kostenlose Bücher