Der Ritter von Rosecliff
Falltür zur Senkgrube zu, begleitet von einem schmunzelnden Wärter. jemand musste die Grube von Zeit zu Zeit mit einem Eimer ausschöpfen, und diese unappetitliche Arbeit wurde meistens als sehr wirksame Strafe für irgendwelche kleinere Vergehen verhängt. Der Missetäter würde sich hüten, ein zweites Mal etwas anzustellen!
Rhonwen ließ ihre Blicke langsam über den ganzen Innenhof schweifen. Sie sah Rosecliffe Castle plötzlich mit neuen Augen. Weil jeder genau wusste, was er zu tun hatte, herrschte Ordnung, lief alles in geordneten Bahnen. Als ihr Onkel Clyde noch gelebt hatte, war es in Carreg Du ähnlich harmonisch zugegangen. Doch seit seinem Tod hatte das Dorf keinen starken Führer mehr, und es ging dort ähnlich chaotisch wie in Afon Bryn zu, wo Zank und Streit an der Tagesordnung waren.
Rhonwen musste sich widerwillig eingestehen, dass man in Rosecliffe gut leben und arbeiten konnte. Das bedeutete natürlich nicht dass die Entschlossenheit des englischen Königs, Wales zu beherrschen, richtig war. Und es bedeutete auch nicht dass jeder englische Lord auf seinem Territorium für Ordnung und Frieden sorgte. Doch hier auf Rosecliffe Castle war das der Fall. Abgesehen von den wenigen Rebellen um Rhys waren die Menschen mit Rands Herrschaft zufrieden, sowohl Engländer als auch Waliser. Es ging ihnen wesentlich besser als früher.
Woran lag das nur?
Sie hörte eine Frau nach einem Kind rufen: Josselyn, die ihrem oft allzu stürmischen Sohn die Leviten las. Sie sprach Walisisch, und er antwortete ihr in derselben Sprache.
Es war die Mischehe von Rand und Josselyn, die Rosecliffe solche Erfolge beschert hatte, begriff Rhonwen. Die gelungene Verbindung zweier Kulturen, wo jeder die Gefühle des anderen respektierte. Sie lächelte, gewärmt durch die neue Hoffnung, die diese Einsicht ihr bescherte. Wenn Rhys es doch nur auch so sehen könnte!
Dann dämmerte ihr die nächste Einsicht: die Ehe allein hätte nicht genügt um so gute Resultate zu erzielen. Liebe war das Geheimnis des Friedens, den dieser Ort ausstrahlte. Josselyn liebte Rand, und er liebte sie nicht minder. Diese innige Liebe bescherte auch ihrer Umgebung Glück und Harmonie.
Ihr Lächeln erlosch. Hatte sie Jaspers Heiratsantrag zu hastig abgelehnt? Hätte sich all das Unheil der letzten Tage vermeiden lassen, wenn sie diesen Antrag angenommen hätte?
Die klare Antwort lautete: nein.
Jasper und sie waren nicht Rand und Josselyn. Jasper liebte sie nicht. Sie liebte ihn zwar, doch er erwiderte ihre Gefühle nicht.
Die Schatten auf dem Hof wurden immer länger, während Rhonwen ihren verworrenen Gedanken nachhing. Sie zuckte zusammen, als einer der Wachposten im Torhaus seinem Kollegen auf der anderen Seite etwas zubrüllte. Die Jagdgesellschaft kehrte endlich zurück.
Schwerfällig stand sie auf. Sie würde Jasper nicht als Invalidin unter die Augen treten, denn das würde ihm einen willkommenen Vorwand liefern, eine Aussprache zu vermeiden.
Das Tor wurde geöffnet, die Zugbrücke herabgelassen werden.
Rhonwen beobachtete die Reiter auf der Hauptstraße, die vom Städtchen zur Burg führte. Rand und Jasper ritten an der Spitze der kleinen Gesellschaft Seite an Seite. Zwei große, kräftige Männer, deren körperliche Ähnlichkeit nicht zu übersehen war, obwohl sie in vieler anderer Hinsicht gänzlich verschieden waren. Doch nur einer von ihnen weckte all ihre Sinne, ließ ihr Herz schneller schlagen.
Sie holte tief Luft und straffte ihre schmalen Schultern. Ihre Seite schmerzte, und sie, wünschte vergeblich, auf den Stock verzichten zu können. Doch das einzig wirklich Wichtige war jetzt Rhys vor dem Leben in einem englischen Gefängnis zu bewahren. Das hatte er trotz seiner vielen Schandtaten nicht verdient! Das Leben war so kostbar, das wusste sie, seit sie knapp dem Tod entronnen war. Sie hoffte nur, dass sie die richtigen Worte finden würde, um Jasper umzustimmen.
Pferdehufe donnerten über die Holzbrücke. Rand hob erstaunt die Brauen, als er Rhonwen sah, und warf seinem Bruder einen Seitenblick zu. Jaspers Miene war unergründlich.
Die Brüder hielten neben ihr an, während die anderen Reiter ihren Weg fortsetzten. Sobald der Staub sich gelegt hatte und wieder Stille herrschte, sprach Rand sie an.
»Es freut mich, dass Eure Wunde gut verheilt Mistress Rhonwen«, sagte er höflich.
Sie schaute zu ihm auf. »Ich werde ewig in Eurer und Josselyns Schuld stehen, weil mir hier so viel Pflege zuteilwurde.«
»Nein, es ist
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