Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Roman eines Konträrsexuellen

Der Roman eines Konträrsexuellen

Titel: Der Roman eines Konträrsexuellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Regimentskantine blieben, um dort zu musizieren oder fröhlich zu speisen. Eines Abends verließ ich, von irgendeiner Laune beeinflußt, die Gesellschaft und zog mich in unseren Schlafsaal zurück. Viele Soldaten lagen schon im Bett, der Unteroffizier war im Begriff, sich zu entkleiden. Ich tat dasselbe und schickte mich an, mich hinzulegen, ohne daß mir dabei eine einzige Bewegung meines Nachbarn entging. Er stand bereits im Hemd da und zog bald, auf seinem Bett sitzend, sein letztes Kleidungsstück aus, um sich nur mit seinem Unterhemd ins Bett zu legen.
    Ich war beeindruckt von der Schönheit und Vollkommenheit seines Körpers, der mir bei dem schwachen Schein der an der Decke hängenden Lampe wunderbar schön vorkam und die antiken Meisterwerke zu übertreffen schien, die mich einst begeistert hatten. Jene waren aus Marmor, dieser schöne Körper war voll Kraft und Jugend. Besonders die Beine fielen mir auf; sie waren vollendet in ihrer Form und gleichzeitig nervig, schlank und geschmeidig. Sein ganzer schöner Körper ließ im Verein mit der anmutigsten Form eine außergewöhnliche Kraft vermuten. Am nächsten Morgen betrachtete ich ihn mit großer Aufmerksamkeit und war von seinem hübschen Gesicht und der Eleganz seiner Züge sowie von seinen wohlgepflegten Händen mit den kurzen Nägeln betroffen. Ich fühlte mich von Freundschaft für diesen jungen Mann ergriffen, der so traurig seine Pflicht tat, nüchtern war und wenig ausging. Dennoch hatte ich kein Verlangen nach ihm. Ich bewunderte ihn wie eine schöne Statue und traute ihm nicht zu, mich jemals verstehen zu können. Oft setzte ich mich abends neben ihn, und es machte mir Spaß, mir etwas von seiner Heimat, seiner Geburtsstadt und seiner Familie erzählen zu lassen. Er hatte keine Mutter mehr, und sein Vater hatte von einer anderen Frau mehrere Kinder. Das hatte ihn veranlaßt, weiter beim Militär zu dienen. Sein Vater war ein kleiner Beamter, der ihm einige Erziehung hatte zuteil werden lassen; er schrieb sehr gut und las in seinen freien Stunden aus dem Französischen übersetzte Bücher, besonders die Werke des älteren Dumas.
    Ich begann an seiner Gesellschaft immer mehr Gefallen zu finden und empfand bald die zärtlichste Freundschaft für ihn. Ich lud ihn mehrer Male ein, mit uns ins Theater zu kommen, und das schien meine Kameraden nicht zu ärgern, die für diesen jungen Mann ebenfalls Sympathie hegten. Er speiste auch einige Male mit uns, zeigte sich aber immer sehr kühl und zurückhaltend. Er hatte soviel Beschäftigung und war abends oft so müde, daß er es vorzog, das Quartier nicht mehr zu verlassen. Ich hätte ihm gerne Geld angeboten, doch ich fürchtete, er würde es nicht annehmen.
    Bald konnte ich nicht mehr ohne ihn auskommen und suchte jede Gelegenheit, ihm angenehm zu sein. Ich begnügte mich damit, seine Hand zu berühren und manchmal mit der meinen über seinen Kopf zu fahren, der mit seinen feinen, weichen, kastanienbraunen Haaren reizend war. Ich bemerkte und bewunderte die Schönheit seiner Zähne und seines hübschen Mundes, der mit einem kleinen, kastanienbraunen Schnurrbart geschmückt war, aber nicht von ihm verdeckt wurde. Ich sah in ihm alle meine Lieblingshelden wieder, und wenn er in seiner hübschen, schwarzgelben Uniform auf seinem Pferd vorbeiritt, verglich ich ihn unwillkürlich mit Hektor und Achill.
    Ich war eifersüchtig, doch es machte mir Spaß, mir seine flüchtigen Liebeshändel und seine Garnisonsabenteuer erzählen zu lassen. Obwohl er körperlich sehr stark veranlagt war, suchte er doch höchstens zweimal im Monat Frauen auf, denn sie waren sehr teuer, und er hatte wenig Geld.
    Übrigens gab er sich wenig mit den Frauen und der Liebe ab, da er seit dem Alter von 17 Jahren im Heere diente und keine Muße gehabt hatte, seine Sinne zu verfeinern. Ich beneidete wütend alle Frauen, die diesen schönen jungen Mann, den ich jetzt als meinen Gott ansah, auch nur ein einziges Mal in ihren Armen gehalten und glücklich gemacht hatten. Ich hätte ein ganzes Leben der Freude darum gegeben, um wenigstens einmal diese Befriedigung haben zu können. Ich war wirklich unglücklich! Und niemals würde mir dieses ungeheure Vergnügen zuteil werden, neben dem alle anderen verblassen.
    Dennoch hätte ich nie gewagt, ihm von alledem ein Wort zu sagen. Ich wäre vor Scham gestorben, bevor ich den schrecklichen Satz ausgesprochen hätte. Doch was kommen mußte, kam. Eines Abends hatten wir alle zusammen gespeist, und unser

Weitere Kostenlose Bücher