Der rote Prophet
Franzosen, mit denen sie heute zu tun bekamen, eben jene waren, die Napoleon bisher gemieden hatte. Alle Offiziere, die Napoleon bevorzugte und denen er vertraute, waren nicht mehr aufzufinden. Napoleon war gestürzt worden.
»Pfeil und Bogen«, sagte ein Offizier. »Damit sind Eure Krieger doch unschlagbar, nicht wahr? Mit Kugeln würdet Ihr doch Euren eigenen Männern mehr schaden als dem Feind.«
Ta-Kumsaws Kundschafter berichteten ihm, daß die amerikanische Armee bis zum Mittag eintreffen würde. Doch nun, da sie nicht mehr die Reichweite von Musketen besaßen, konnten sie kaum mehr tun, als die Armee Old Hickorys mit schwachen Pfeilschüssen zu belästigen, die aus viel zu großer Entfernung abgefeuert wurden, obwohl sie doch vorgehabt hatten, die Amerikaner mit einem Bleihagel in Empfang zu nehmen. Und weil die Bogenschützen sich den Amerikanern so weit nähern mußten, um überhaupt schießen zu können, wurden viele von ihnen getötet.
»Steh nicht neben mir«, sagte Ta-Kumsaw zu Alvin. »Sie wissen alle von der Prophezeiung. Sonst glauben sie noch, daß ich nur mutig bin, weil ich weiß, daß ich nicht sterben kann.«
Also stellte Alvin sich ein Stück abseits, blieb aber immer nahe genug, um tief in Ta-Kumsaws Körper hineinblicken zu können, bereit, jede etwaige Wunde zu heilen. Was er jedoch nicht heilen konnte, das waren die Furcht und der Zorn und die Verzweiflung, die sich in Ta-Kumsaws Seele bereits breitmachten. Ohne Schießpulver, ohne Napoleon war der einstmals sicher geglaubte Sieg zu einer Frage des schieren Glücks geworden.
Die grundlegende Taktik war erfolgreich. Old Hickory bemerkte die Falle sofort, doch das Gelände zwang ihn dazu, entweder hineinzulaufen oder den Rückzug zu wählen, und er wußte, daß der Rückzug das Verderben bedeutete. Also marschierte seine Armee kühn zwischen die Hügel, auf denen es von Roten nur so wimmelte, auf den schmalen Streifen zu, wo die französischen Kanonen und Gewehrschützen die Amerikaner unter Beschuß nehmen würden, während die Roten alles töten sollten, was zu fliehen versuchte. Es hätte einen vollständigen Sieg geben müssen. Nur daß man davon ausgegangen war, daß die Amerikaner demoralisiert, verwirrt und durch den Beschuß der Roten auf dem Weg zur Schlacht stark dezimiert sein würden.
Die Taktik war richtig, aber als die amerikanische Armee die französische erblickte und angesichts der Mündungen neun mit Kartätschen geladener Kanonen und zweitausend Musketen zögerte, zogen sich die Franzosen völlig unverständlicherweise zurück. Es war, als würden sie der Stärke ihrer eigenen Linien nicht trauen. Sie versuchten nicht einmal die Kanonen mitzunehmen. Sie wichen zurück, als fürchteten sie die sofortige Vernichtung.
Old Hickory wußte die Gelegenheit zu nutzen. Seine Soldaten ignorierten die Roten und stürzten sich auf die fliehenden Franzosen, machten alles nieder, was nicht davonlief, erbeuteten Kanonen, Musketen, Pulver und Kugeln.
Binnen einer Stunde hatten sie mit Hilfe der französischen Artillerie an drei Stellen Breschen in die Festungsmauern geschossen. Amerikaner strömten in Detroit ein; in den Straßen fanden blutige Kämpfe statt.
An diesem Punkt hätte Ta-Kumsaw sich zurückziehen sollen. Er hätte es den Amerikanern überlassen sollen, die Franzosen zu vernichten, hätte seine Männer in Sicherheit bringen sollen. Vielleicht fühlte er sich noch verpflichtet, den Franzosen zu helfen, selbst jetzt noch, nachdem sie ihn im Stich gelassen hatten. Vielleicht hoffte er aber auch noch darauf, daß seine Armee von Roten gegen die bereits in eine Schlacht verwickelten Amerikaner doch noch einen Sieg davontragen konnte. Vielleicht erkannte er aber auch, daß er nie wieder genug Kraft haben würde, um alle Krieger sämtlicher Stämme unter seinem Befehl zu vereinen.
Und so griffen die mit Pfeil und Bogen, mit Keulen und Messern bewaffneten Roten die amerikanische Armee von hinten an. Zuerst brachten sie blutige Ernte ein, schlugen die Weißen zu Boden, durchbohrten sie mit ihren Feuersteinklingen. Ta-Kumsaw befahl ihnen, Musketen, Pulver und Munition der Gefallenen an sich zu nehmen, und viele der Roten gehorchten. Doch dann setzte Old Hickory den disziplinierten Kern seiner Truppe ein. Die Kanonen wurden gewendet. Und die auf offenem Feld kämpfenden Roten fielen im gewaltigen Kartätschenhagel.
Am Abend brannte Detroit, und der Rauch zog durch den nahen Wald. Ta-Kumsaw stand in der Dunkelheit mit einigen
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