Der rote Prophet
inneren Auge. Er war so sehr darauf konzentriert, daß er nicht einmal den stechenden Schmerz der Kugel spürte, die in den Rücken seiner linken Hand einschlug.
Doch am Rande seines inneren Gesichtsfelds erblickte er den Entmacher, jenen großen Vernichter, wie einen durchsichtigen Schatten, seine schimmernden Finger schnitten durch den Wald. Den roten Ta-Kumsaw konnte Alvin heilen. Doch wer konnte den Laubwald heilen? Wer konnte die Wunden heilen, die allen Indianern zugefügt wurden? Alles, was Ta-Kumsaw aufgebaut hatte, fiel der Zerstörung anheim, und alles, was Alvin tun konnte, war, einen einzigen Mann am Leben zu halten. Gewiß, einen großen Mann, einen Mann, der die Welt verändert hatte, der etwas aufgebaut hatte, auch wenn dieses Etwas am Ende zu noch mehr Leid und Schmerz führte. Ta-Kumsaw war ein Erbauer, und doch wußte Alvin schon jetzt, da er sein Leben rettete, daß Ta-Kumsaws Tage des Erbauens zu Ende waren. Höchstwahrscheinlich neidete der Entmacher Alvin nicht das Leben seines Freundes. Was war schon Ta-Kumsaw, verglichen mit dem, was der große Urschöpfer bei diesem Fest noch alles verschlang? Und schließlich, als die vielen Wunden Alvins Kräfte überstiegen und das Blut nur noch so hervorströmte, stürzte Ta-Kumsaw in Alvins Unterschlupf, fiel er auf den Jungen, der unter seiner Last beinahe erstickte.
Alvin hörte kaum, wie man um sie herum nach Ta-Kumsaw suchte. Er war zu sehr damit beschäftigt, Wunden zu heilen, zerrissenes Fleisch ganz zu machen, zerfetzte Nervenstränge miteinander zu verbinden und gebrochene Knochen zu richten. In seinem verzweifelten Bemühen, Ta-Kumsaws Leben zu retten, öffnete er die Augen und schnitt mit seinem eigenen Steinmesser ins Fleisch des roten Mannes hinein, um Geschosse herauszuhebeln und die Wunden danach wieder zu heilen. Und die ganze Zeit war es, als würden sich Rauch und Pulverdampf über ihnen zusammenballen, so daß niemand in das kleine Versteck hineinschauen konnte, wo der Entmacher Alvin gefangengehalten hatte.
Alvin erwachte erst am nächsten Nachmittag wieder. Neben ihm lag Ta-Kumsaw, matt und erschöpft, aber heil.
Vorsichtig kroch Alvin unter Ta-Kumsaw hervor, der sich so leicht anfühlte wie eine Feder. Inzwischen war der Rauch verflogen, doch Alvin fühlte sich noch immer unsichtbar, wie er so bei hellichtem Tageslicht wie ein Roter gekleidet umherging. Aus dem Lager der Amerikaner neben den Ruinen von Detroit ertönte betrunkener Gesang. Noch immer zogen vereinzelte Rauchschwaden durch die Bäume. Und überall, wo Alvin ging, lagen die Leichen von roten Männern wie nasses Stroh auf dem Waldboden. Es stank nach Tod.
Alvin fand einen Bach und trank, wusch sich Gesicht und Hände, tauchte den Kopf ins Wasser, um sich abzukühlen. Dann kehrte er zu Ta-Kumsaw zurück, um ihn zu wecken und ihm etwas zu trinken zu bringen.
Ta-Kumsaw war bereits wach. Er stand über den Leichnam eines gefallenen Freundes gebeugt. Den Kopf hatte er zurückgelegt und den Mund weit geöffnet, als würde er einen Schrei hervorstoßen, der so tief und so laut war, daß menschliche Ohren ihn nicht vernehmen konnten. Alvin lief auf ihn zu, schlang die Arme um ihn, klammerte sich an ihn, ganz das Kind, das er war, nur daß es Alvin war, der dabei Trost spendete. Er flüsterte: »Ihr habt Euer Bestes gegeben. Ihr habt getan, was getan werden konnte.«
Und Ta-Kumsaw antwortete nicht, obwohl sein Schweigen auch eine Antwort war, so als würde er sagen: Ich bin am Leben, was bedeutet, daß ich nicht genug getan habe.
Am Nachmittag gingen sie davon und machten sich dabei nicht einmal die Mühe, sich zu verbergen. Später erwachten einige weiße Männer verkatert und schworen, daß sie Ta-Kumsaw und den Renegado-Jungen gesehen hätten, wie sie zwischen den Gefallenen der Rotenarmee dahingeschritten seien, doch niemand hörte auf sie.
Bis sie zum Oberlauf des My-Ammy gelangt waren, wechselten Alvin und Ta-Kumsaw kein Wort. Und selbst als sie sich dort ein Kanu bauten, sagte Ta-Kumsaw kaum etwas zu ihm. Alvin ließ das Holz an den richtigen Stellen weich werden, so daß sie kaum eine halbe Stunde brauchten. Eine weitere halbe Stunde benötigten sie, um ein gutes Paddel anzufertigen. Dann brachten sie das Kanu ans Ufer. Als das Kanu schon halb im Wasser war, drehte sich Ta-Kumsaw zu Alvin um, streckte die Hand aus und berührte ihn im Gesicht. »Wenn alle weißen Männer so treu und wahrhaftig wären wie du, Alvin, wäre ich nie zu ihrem Feind geworden.«
Und als
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