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Der rote Prophet

Der rote Prophet

Titel: Der rote Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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und Frauen sprecht und ihnen das Verständnis des Himmels nahebrächtet. Denkt einmal über diese Vision nach, Mr. Wossiky. Wenn ich mich nicht irre, dürfte das Eure Zukunft sein.«
    Lolla-Wossiky verstand kaum, was Thrower sagte. Irgend etwas über ihn als Prediger. Irgend etwas über Zukunftsschau. Lolla-Wossiky versuchte, darin einen Sinn zu erkennen, doch es gelang ihm nicht.
    Bis zum Nachteinbruch hatte man Lolla-Wossiky in die Kleider des weißen Mannes gehüllt, und nun sah er aus wie Narr. Sein Branntwein hatte seine Wirkung verloren, und er hatte keine Gelegenheit gehabt, schnell in den Wald zu huschen, um sich seine vier Schlucke zu holen, daher war das schwarze Geräusch sehr schlimm. Was noch schlimmer war – es sah so aus, als würde es in der Nacht regnen, so daß er mit seinem gesunden Auge nichts würde sehen können, und so schlimm, wie das schwarze Geräusch jetzt war, würde sein Landsinn ihn auch nicht mehr zu dem Faß führen.
    So taumelte er noch schlimmer, als hätte er Branntwein getrunken, so sehr wogte und bebte der Boden unter ihm. Beim Versuch, an Brustwehrs Eßtisch vom Stuhl aufzustehen, stürzte er zu Boden. Eleanor beharrte darauf, daß er die Nacht im Haus verbringen solle. »Wir können ihn doch nicht im Wald schlafen lassen, nicht im Regen«, sagte sie, und wie um ihre Worte zu unterstreichen, ertönte plötzlich ein Donnerschlag und der Regen begann auf Dach und Mauern zu prasseln. Eleanor bereitete ihm ein Bett auf dem Küchenboden, während Thrower und Brustwehr im Haus umhergingen, um die Fensterläden zu schließen. Dankbar kroch Lolla-Wossiky ins Bett, ja, er zog nicht einmal die steife, unbequeme Hose und das Hemd aus, legte sich mit geschlossenen Augen nieder, versuchte, das Stechen im Kopf zu ertragen, den Schmerz des schwarzen Geräusches, das sein Gehirn wie ein Messer Scheibe um Scheibe zerschnitt.
    Wie üblich glaubten sie, daß er schliefe.
    »Er wirkt betrunkener als heute morgen«, meinte Thrower.
    »Ich weiß genau, daß er den Hügel nicht verlassen hat«, antwortete Brustwehr. »Er kann unmöglich irgendwo etwas zu trinken bekommen haben.«
    »Ich habe einmal gehört, daß ein Betrunkener, wenn er nüchtern wird«, warf Thrower ein, »sich zu Anfang betrunkener benimmt, als wenn er Alkohol in sich hätte.«
    »Ich hoffe, daß das alles ist«, erwiderte Brustwehr.
    »Ich vermute, daß die Taufe heute für ihn etwas enttäuschend war«, bemerkte Thrower. »Natürlich ist es unmöglich, sich in einen Wilden hineinzufühlen, aber ...«
    »Ich würde ihn keinen Wilden nennen, Reverend Thrower«, widersprach Eleanor. »Ich glaube, daß er auf seine Weise durchaus zivilisiert ist.«
    »Ebensogut könntet Ihr auch einen Dachs zivilisiert heißen«, konterte Thrower. »Zumindest auf seine Weise.«
    »Ich will damit sagen«, sagte Eleanor, und ihre Stimme klang noch leiser und milder, darum aber um so gewichtiger, »daß ich gesehen habe, wie er gelesen hat.«
    »Ihr meint, er hat Seiten umgeblättert«, sagte Thrower. »Er kann unmöglich gelesen haben.«
    »Nein. Er hat gelesen, und seine Lippen haben dabei die Worte geformt«, widersprach sie. »Die Schilder an der Wand im vorderen Raum, wo wir die Kunden bedienen. Er hat die Worte gelesen.«
    »Das ist durchaus möglich«, warf Brustwehr ein. »Ich weiß zum Beispiel genau, daß die Irrakwa genauso gut lesen wie jeder Weiße. Ich war häufig geschäftlich bei ihnen, und eins könnt Ihr mir glauben: Das Kleingedruckte ihrer Verträge darf man nicht außer acht lassen. Die Roten können durchaus das Lesen lernen, soviel ist sicher.«
    »Aber dieser hier, dieser Betrunkene ...«
    »Wer weiß denn schon, was aus ihm werden könnte, wenn er keinen Branntwein in sich hätte?« fragte Eleanor.
    Dann gingen sie fort, und Lolla-Wossiky versuchte, sich das Gehörte zusammenzureimen. Die Taufe hatte ihn nicht aus seinem Traum erweckt. Die Kleidung des weißen Mannes auch nicht. Vielleicht würde es dadurch geschehen, daß er eine Nacht lang keinen Branntwein trank, wie Eleanor gemeint hatte, obwohl der Schmerz ihn schier verrückt machte, so daß er nicht schlafen konnte.
    Was immer auch geschehen mochte, auf jeden Fall wußte er, daß das Traumtier ihn irgendwo hier in der Nähe erwartete. Dies war für Lolla-Wossiky der Platz des Erwachens. Eins war sicher: Er würde keine weitere Nacht ohne Whisky verbringen. Nicht, solange er oben in einem Baum ein Faß verstaut hatte, das sein schwarzes Geräusch vertreiben und ihn schlafen

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