Der rote Prophet
sofort in den Wäldern verschwunden. Er hatte gesehen, was mit den roten Männern geschah, die damit begannen, die Werkzeuge des Weißen zu benutzen. Wie es ihre Verbindung zum Land abschnitt, Stück um Stück, jedesmal, wenn sie dieses Metall aufnahmen. Sogar Gewehre. Wenn ein roter Mann damit begann, mit Gewehren zu jagen, dann war er schon ein halber Weißer geworden, sobald er das erste Mal den Abzug betätigte; das einzige, wofür ein roter Mann ein Gewehr benutzen konnte, war, um weiße Männer zu töten, pflegte Ta-Kumsaw immer zu sagen, und er hatte recht. Doch Lolla-Wossiky hörte Brustwehr gar nicht, weil er soeben eine höchst bemerkenswerte Entdeckung gemacht hatte. Wenn er sein gesundes Auge schloß, konnte er den Jungen nämlich sehen. Genau wie den einäugigen Bären im Fluß. Öffnete er das heile Auge wieder, sah er nur den blonden Jungen, der hinter dem anderen herjagte und schrie, aber keinen Alvin Miller Junior. Wenn er es schloß, war da nichts als das schwarze Geräusch und die Spuren des Grün – und dann, direkt in der Mitte, war da der Junge, hell und leuchtend von einem Licht, als trüge er eine Sonne in seiner Gesäßtasche, lachend und spielend, mit einer Stimme, die wie Musik klang.
Und dann sah er ihn überhaupt nicht mehr.
Lolla-Wossiky öffnete das Auge. Da stand Reverend Thrower. Brustwehr und Eleanor waren fort – alle Männer hatten sich wieder an den Kirchenbau gemacht. Soviel war klar – es war Thrower, der den Jungen hatte verschwinden lassen. Vielleicht aber auch nicht, denn nun, da Thrower neben ihm stand, konnte Lolla-Wossiky den Jungen mit seinem gesunden Auge sehen. Genau wie jedes andere Kind.
»Lolla-Wossiky, mir ist eingefallen, daß Ihr wirklich einen christlichen Namen annehmen solltet. Ich habe noch nie einen roten Mann getauft, daher habe ich ohne nachzudenken Euren unzivilisierten Namen benutzt. Ihr solltet einen neuen Namen annehmen, einen christlichen Namen. Nicht unbedingt den Namen eines Heiligen – wir sind schließlich keine Papisten –, aber einen, der Eure Verpflichtung gegenüber Christus dokumentiert.«
Lolla-Wossiky nickte. Er wußte, daß er einen neuen Namen brauchen würde, wenn die Taufe überhaupt wirksam werden sollte. Wenn er erst seinem Traumtier begegnet und nach Hause zurückgekehrt war, würde er einen neuen Namen bekommen. Das versuchte er Thrower zu erklären, doch der weiße Prediger verstand ihn nicht richtig. Doch endlich begriff er, daß Lolla-Wossiky einen neuen Namen haben wollte, und zwar möglichst bald, was ihn wieder besänftigte.
»Da wir schon gerade hier sind«, warf Thrower ein, »würde ich ganz gern einmal Euren Kopf untersuchen. Ich arbeite nämlich daran, ein paar Grundklassifikationen der noch jungen Wissenschaft der Phrenologie zu entwickeln. Dahinter steht die Annahme, daß bestimmte Talente und Eigenschaften der menschlichen Seele sich in Höckern und Mulden des menschlichen Schädels widerspiegeln oder von diesen vielleicht sogar verursacht werden.«
Lolla-Wossiky hatte nicht die geringste Vorstellung, wovon Thrower da sprach, daher nickte er nur stumm. Das funktionierte normalerweise gut bei Weißen, die Unfug redeten, und Thrower war keine Ausnahme. Und so endete es damit, daß Thrower Lolla-Wossikys Kopf überall befühlte, gelegentlich aufhörte, um auf einem Stück Papier Notizen und Skizzen zu machen, und Dinge murmelte wie: »Interessant«, »ha« und »Na, diese Theorie hätten wir widerlegt.« Als alles vorbei war, bedankte sich Thrower bei ihm. »Ihr habt der Wissenschaft einen großen Dienst erwiesen, Mr. Wossiky. Ihr seid ein lebender Beweis dafür, daß der rote Mann nicht unbedingt die Höcker der Wildheit und des Kannibalismus aufweisen muß. Statt dessen besitzt Ihr eine ganz normale Reihe von Fähigkeiten und Mängeln, wie sie jeder Mensch hat. Rote Männer sind nicht grundlegend verschieden von weißen Männern, zumindest nicht auf irgendeine leicht kategorisierbare Weise. Tatsächlich weist Ihr alle Anzeichen eines bemerkenswerten Redners auf, mit einem hochentwickelten Sinn für Religion. Es ist kein Zufall, daß Ihr der erste rote Mann seid, der in meiner Pfarrei hier in Amerika das Evangelium annimmt. Ich muß sagen, daß Euer phrenologisches Muster große Ähnlichkeit mit meinem eigenen aufweist. Kurzum, mein lieber, neugetaufter Christ, es würde mich nicht überraschen, wenn Ihr einmal selbst zu einem Missionar des Evangeliums werden würdet. Wenn Ihr zu großen Scharen roter Männer
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