Der Rote Tod
beiden blieben stehen. Sie waren noch zu nah, als dass sich Hanna aus ihrer Deckung hätte hervortrauen können.
»Ich glaube nur, was ich mit meinen eigen Augen sehe.«
»Richtig. Aber ich glaube, dass wir bald abgelöst werden.«
»Das stimmt allerdings.«
»Los, noch mal bis zum Bahnhof und dann wieder in den Streifenwagen. Da ist es gemütlicher.«
»Du sagst es.«
Die Polizisten zogen ab, und das Mädchen konnte endlich aufatmen. Zum Bahnhof wollte Hanna nicht. Sie hatte sich bereits einen anderen Plan zurechtgelegt.
Bevor sie den Weg zum Wohnmobil antrat, wollte sie noch am Kanal entlanggehen. Da konnte sie über die Straße und von dort aus in den tiefer liegenden Kanal schauen, aber es gab auch einen schmalen Weg direkt am Wasser, der für Fußgänger natürlich verboten war. In der Regel hielten sich die Leute auch daran, doch es gab immer wieder Ausnahmen, besonders bei den Studenten, die sich an sehr heißen Sommertagen und auch in den Nächten im Kanal vergnügten.
Die Nacht war zwar warm, aber nicht warm genug. So kam keiner auf den Gedanken, in das Wasser zu springen.
Hanna bog in die Straße ein und ging dicht am Gitter entlang. So dicht, dass sie mit der Hand darüber wegstreifen konnte und das dabei entstandene Geräusch auch hörte, weil es recht still war.
Der Kanal lag ruhig neben ihr. Nicht das leiseste Plätschern war zu hören. Links von ihr verlief die Straße, und dort sah sie auch die Fassaden der Häuser, die dicht an dicht standen. In einigen befanden sich im unteren Bereich Geschäfte, deren Räume allerdings nicht vermietet waren.
Niemand kam ihr entgegen. Weder auf ihrer, noch auf der anderen Seite. Die belebte City schien meilenweit entfernt zu sein, hier herrschte das Dunkel vor. Eine Laterne sah sie. Ihr Streulicht erreichte die Straße, jedoch nicht das Wasser.
Es lag dunkel unten an der rechten Seite. Der schmale Gehweg war mit Gras und nicht sehr hohem Buschwerk bewachsen, mehr Unkraut, dass aus dem Boden geschossen war.
Hanna hatte das Gefühl, dass sie nicht grundlos hierher ging. Irgendetwas hatte sie dazu getrieben. Etwas Genaues konnte sie nicht sagen. Sie wusste auch keine Erklärung, aber in ihrem Innern baute sich etwas auf, das sie nicht verstand.
Es ging um den Roten Tod!
Aber nicht nur um ihn, sondern auch um etwas sehr Seltsames. Da existierte plötzlich eine Verbindung zwischen ihr und ihm. Das konnte sie sich auch eingebildet haben, aber der innere Druck war einfach zu stark, um darüber hinwegsehen zu können.
Oder spielte ihr die Fantasie einen Streich?
Sie wusste nicht, was sie glauben konnte oder sollte. Obwohl um sie herum alles normal war, glaubte sie an die Öffnung eines Tores, sodass eine gewisse Aura aus einer anderen Welt in die normale hineinfloss. War das der Vorbote der Begegnung?
Hanna blieb etwa auf der Hälfte der Strecke stehen und wartete ab. Das Gehen störte sie jetzt. Sie musste erst mit sich selbst ins Reine kommen. Da war etwas in ihrem Kopf. Ein Druck, aber keine Stimme. Und trotzdem hatte sie den Eindruck, dass sich etwas zusammenbraute.
Sie schaute sich um. Wenn eine Gefahr auf sie zukam, wollte sie diese sehen.
Nein, da war nichts zur erkennen. Es gab keine Veränderung. Das erleichterte sie nicht. Sie fand nichts heraus und ging deshalb weiter, noch immer dicht am Geländer entlang.
Ein Auto kam ihr entgegen. Die Scheinwerfer sahen aus wie Glotzaugen eines Ungeheuers, die mit dem kalten Licht der Sterne gefüllt waren. Hanna brauchte keine Furcht zu haben, in diesem Fahrzeug saßen keine fremden Sternenwesen, die der Erde einen Besuch abgestattet hatten, um Kinder zu rauben.
Der Wagen fuhr vorbei. Das Scheinwerferlicht verlor sich. Die Dunkelheit nahm wieder ihren Platz ein.
Hanna merkte, dass Schweiß auf ihrer Stirn lag. Sie zitterte auch leicht. So nervös war sie schon, dass ihr ein entgegenkommendes Fahrzeug Furcht einjagte.
Noch hatte sie die Brücke nicht hinter sich gelassen. Ob sie weiterging oder umkehrte, das war egal, denn die Entfernungen zu den beiden Enden war fast gleich.
Deshalb setzte sie ihren Weg in die gleiche Richtung hin fort. Zwei Meter später blieb sie stehen. Plötzlich schüttelte sie den Kopf. Sie wollte es nicht glauben, doch ein erneuter Blick zum Kanal hinunter zeigte ihr, dass sie sich nicht geirrt hatte.
An seinem Ufer lag etwas.
Es sah aus wie ein längliches dunkles Paket, das jemand vergessen zu haben schien. Es lag nicht der Länge nach auf dem kurzen Rasenstück, sondern
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