Der Rote Tod
sich auf mich zu...
***
Dass er eine Verletzung erhalten hatte, war ihm nicht anzumerken. Er wollte meinen Tod, und dabei übersprang er alle Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellten.
Kein Umhang hinderte ihn mehr in seiner Bewegungsfreiheit. Er war so verdammt schnell. Sein Gesicht erschien als blutende Fratze dicht vor meinen Augen, und ich sah auch die helle Klinge in der zuckenden Hand blitzen.
Ich flog aufs Bett und damit weg von ihm.
Die Waffe verfehlte mich. Sie hackte in die Unterlage hinein und riss sie auf. Sofort warf sich der Rote Tod zur Seite, um einen zweiten Versuch zu starten.
Ich hatte das vorausgesehen und reagierte entsprechend. Mich mehrmals überrollend befand ich mich auf dem Weg zur Bettkante, aber ich hatte die Übersicht nicht verloren und mir noch in der Bewegung meine eigene Waffe geschnappt.
Als der Rote Tod im Liegen zum zweiten Mal zuschlug, hatte ich die Kante erreicht – und rollte über sie hinweg.
Es ging abwärts.
Der Aufprall war nicht besonders hart, und ich rollte mich weiter. Über mir hörte ich einen irren Schrei, kurz und schrill wie von einem fremden Wesen stammend.
Der Bühnenstaub war in meine Nase geraten. Egal, ich kümmerte mich nicht darum, sondern wartete darauf, dass der Rote Tod an der Bettkante erschien, um mir zu folgen.
Er robbte heran. Zuerst sah ich nur, dass sich die Unterlage bewegte. Dann sah ich seine Hand mit dem Skalpell, sah auch sein verzerrtes Gesicht, als hätte es der Teufel selbst angemalt, und ich wusste, dass er nicht aufgeben würde.
Trotzdem versuchte ich es.
»Weg mit der Waffe. Ich...«
Er lachte nur.
Dann hob er seine rechte Hand an. Gleichzeitig stützte er sich mit der anderen ab, um sich näher an die Kante des Betts heranzuschieben. Wahrscheinlich wollte er das Skalpell werfen, und das konnte ich nicht zu lassen.
Ich lag auf dem Bauch. Meine Beretta hielt ich mit beiden Händen fest und hob sie leicht an, damit ich den idealen Schusswinkel erhielt. Dann drückte ich ab.
Die Kugel traf mitten in das Gesicht des Roten Tods. Und die reagierte anders als ein normales Geschoss, denn er stand unter dämonischem Einfluss.
Sein Gesicht wurde von einem Augenblick zum anderen zerstört und verwandelte sich in eine Wolke aus Blut. Es schwebte plötzlich ein Blutstau über der Bettdecke, als hätte man dort einen Gegenstand in der Luft hängen lassen.
Ich starrte hin und glaubte, für einen winzigen Augenblick die so bekannte Dreiecksfratze des Teufels zu sehen. Dann brach dieses Gebilde zusammen und verteilte sich auf der Decke. Zusammen mit einem noch vorhandenen Leib war es der Rest des Roten Tods...
***
Diesmal hörte ich das Weinen. Und diesmal tat es Hanna gut. Sie musste ihren Schock verdauen. Was sie da geleistet hatte, war schon übermenschlich gewesen. Wäre ihre Mutter hier auf der Bühne gewesen, hätte sie bestimmt dort Trost gesucht. So aber war sie zu Harry Stahl gegangen. Sie saß neben ihm. Er hatte seinen gesunden Arm um Hanna gelegt. Sie selbst drückte ihren Kopf gegen seine Brust.
»Ja«, sagte ich nur und drehte mich um.
Chris Bücker saß neben dem Bett und stützte sich mit dem Rücken dagegen. Er war nicht ansprechbar. Aus großen Augen schaute er ins Leere. Ich sprach ihn nicht an.
Hinter der Bühne traf ich einen entsetzten Inspizienten. Er erklärte mir den Weg zu den Garderoben, denn ich hatte nicht vergessen, was Hanna über Ulrike Dorn gesagt hatte.
Sehr schwach drang der, Klang der Polizeisirenen an meine Ohren. Die Kollegen würden gleich eintreffen und das Grauen vorfinden. Ich betrat die Garderobe des Schauspielers. Sie war leer, doch nur auf den ersten Blick. Dann fiel mir die nach außen gebogene Schranktür auf. Ich verbreiterte durch einen entsprechenden Druck den Spalt noch mehr als ich hindurchschaute, sah ich genau in das Gesicht der toten Ulrike Dorn.
Leider hatte Hanna Recht behalten.
Den Kopf schüttelnd und mit einer Gänsehaut auf dem Rücken, verließ ich den Raum. Der Rote Tod war besiegt. Er würde kein Menschenopfer mehr finden.
Der Weg des Schicksals hatte mich zum Roten Tod geführt. Er war relativ leicht zu erledigen gewesen, was man von einem anderen Gegner, der im Hintergrund lauerte, nicht so leicht behaupten konnte.
Doch an ihn, den Schwarzen Tod, wollte ich jetzt nicht denken, als ich wieder zurück zur Bühne ging...
ENDE
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