Der Rote Tod
Arm nach unten sank.
Richard Kohler wusste, worauf es ankam. Er bewegte sich schnell wie ein Schatten und ließ mir keine Sekunde Zeit, einen gezielten Schuss abzugeben.
Hanna schrie.
Sie hätte es nicht tun sollen, denn plötzlich war er wieder auf seine Tochter aufmerksam geworden. Mit einem gewaltigen Sprung war der Rote Tod plötzlich bei ihr.
Ich feuerte, um ihn im Lauf zu stoppen. Die Kugel fegte über das Bett hinweg, ohne den Mörder zu treffen, und dann konnte ich nicht mehr schießen, denn er hatte seine Tochter erreicht.
Er riss sie an sich. Er hielt sie fest, und das Skalpell befand sich plötzlich hautnah vor ihrer Kehle.
»So«, sagte er nur, »so...«
Und ich wusste, dass der letzte Akt des verdammten Dramas begonnen hatte...
Es war eine Situation, die ich keinem Menschen gönne, in die aber Polizisten immer wieder hineingeraten. Man trainiert so etwas in Kursen, man versucht, den Menschen ein bestimmtes Verhalten einzutrichtern, aber das ging zumeist in die Hose. Die Wahrheit war immer schlimmer als alles andere, was trainiert wurde.
Auch hier.
Da war der Vater, da war die Tochter. Und dieser Vater hatte sich dem Teufel zugewandt. Er würde sich nicht scheuen, seine Tochter mit in den Tod zu reißen, wenn er dadurch seine Existenz retten konnte. Das musste man einfach so sehen.
Harry saß jetzt auf dem Bett. Er stöhnte und atmete schwer. Ich hörte ihn nur, sah ihn aber nicht und konnte nur hoffen, dass er sich zurückhielt. Auf keinen Fall durften wir schießen, denn Hanna war einfach zu leicht zu treffen. Und so etwas hätte ich mir in meinem weiteren Leben nicht verziehen.
»Schon gut, Kohler, schon gut. Ich weiß Bescheid.«
»Hoffentlich. Ich werde die kleine Kröte mit in die Hölle nehmen, wenn du dich nicht richtig verhältst. Und jetzt will ich, dass du deine Knarre fallen lässt.«
»Alles klar, Kohler.« Mein rechter Arm entspannte sich. Die Hand sank langsam nach unten. Dann warf ich meine Beretta weg, die auf dem Bett landete.
Es war mittlerweile frei geworden. Chris Bücker hatte sich herabgerollt und lag neben dem Bett.
Hanna behielt die Nerven. Sie blieb so verdammt ruhig, als hätte sie sich innerlich schon einige Male auf eine derartige Situation vorbereitet.
»Warum willst du mich denn töten, Vati?«
»Das ist meine Sache.«
»Ich bin doch nicht von hier!«
Mein Gott, was hatte dieses Kind Nerven. Das war kaum zu vermitteln. Hanna blieb cool, obwohl dieser Ausdruck für mich nicht der richtige war. Er war mir einfach zu flapsig.
»Stimmt, bist du nicht.«
Ich beobachtete weiterhin das Skalpell. Es zitterte nicht. Trotz der Erregung blieb die Hand ruhig.
»Dann lass mich leben.«
»Kannst du, Kind, kannst du. Aber dieser verdammte Typ vor uns...«
»Er heißt John Sinclair.«
»Weiß ich. Ist mir auch egal. Er will mich, weißt du?«, flüsterte er hektisch und scharf. »Er will mich tatsächlich verhaften und vor Gericht stellen. Mich, einen Freund des Teufels. Was bildet sich dieses Schwein eigentlich ein?«, brüllte er los. Die Echos hallten über die Bühne hinweg bis tief in den Zuschauerraum hinein.
»Ich bin waffenlos, Richard«, sagte ich. »Bitte, du kannst es versuchen. Greife mich an, lass deine Tochter laufen, sie hat wirklich nichts damit zu tun. Sie stammt nicht aus der Stadt. Sie trifft nicht die geringste Schuld an den damaligen Vorgängen. Ich denke, das solltest auch du einsehen, Kohler.«
»Halt dein Maul!«
»Überleg es dir.«
Er schwieg, und ich fragte mich, ob er tatsächlich darüber nachdachte. Typen wie er brauchten die Herausforderung. Sie wollten es sich und ihrem Mentor beweisen.
»Ich gehe jetzt, Vati!«
»Was?«
»Ja, ich befreie mich aus deinem Griff und werde einfach Weggehen. Das ist alles.«
»Du bist doch...«
»Du kannst mich nicht aufhalten.«
Auch ich versuchte es. »Bitte, Hanna, mach dich nicht unglücklich. Ich flehe dich an. Du kannst hier nicht gewinnen. Dein Vater lässt dich nicht gehen.«
»Doch, das wird er.«
Sie bewegte sich tatsächlich. Sie wollte in die Knie gehen, und es war ihr egal, ob das Skalpell dabei über ihr Kinn geschrammt wäre. Hanna setzte alles auf eine Karte.
Der Rote Tod aber auch.
Plötzlich brüllte er auf.
Dann schleuderte er seine Tochter tatsächlich zur Seite. Es musste der letzte positive Funken in ihm gewesen sein, und seine erste Bewegung lief flüssig über in eine zweite.
Diesmal war ich an der Reihe.
Mit einem Hechtsprung und schlagbereitem Skalpell warf er
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