Der Rote Tod
Göttingen zusammenliefen.
Mein Freund fing sich wieder. »Manchmal bist du mir unheimlich, John.«
»Wegen des Roten Tods habe ich dich angerufen.«
»Das weiß ich jetzt. Aber was hast du damit zu tun?«
»Noch nichts. Mich hat nur ein Artikel auf die Spur gebracht. Und zwar in einer englischen Zeitung.«
»Das wundert mich gar nicht. Im Zeitalter des Internet ist eben alles möglich.«
»Wie siehst du den Fall? Als ganz normalen...«
»Mehr das oder, John, sonst wäre ich nicht hier. Auch uns ist diese Legende vom Roten Tod zu Ohren gekommen, aber wie das so ist. Man trifft natürlich auf Widerstand, wenn man sie ins Spiel bringt. Ist auch ganz natürlich. Mit den Kollegen habe ich schon meine Probleme, aber du bist nicht ganz auf dem Laufenden.«
»Was gibt es denn noch?«
»Einen dritten Mord.«
»Bitte?«
»Ja, man hat die Leiche heute Morgen gefunden. Du hast mich praktisch auf dem Weg zu ihr erwischt. Ich stehe hier vor dem Hotel und wollte in meinen Wagen steigen.«
»Gibt es in dem Haus noch ein freies Zimmer?«
»Ich denke schon.«
»Dann reserviere es für mich. Ich sehe zu, dass ich eine Maschine bekomme...«
»Die in Hannover landen muss. Von dort ist es nur ein Katzensprung bis Göttingen. Ich kann dich nur nicht abholen. Nimm dir einen Leihwagen.«
»Mache ich. Wie heißt das Hotel?«
»Es ist ein Romantik-Hotel. Sehr leicht zu finden. Vom Bahnhof aus fünf Minuten Fußweg. Du wirst es leicht erreichen können.«
»Wir sehen uns dann noch heute.«
»Okay, ich freue mich.«
»Ist Dagmar auch dabei?«
»Nein, die ist in Paris. Ein Kongress, der über drei Tage geht. Ich wäre ja auch mitgefahren, um mich mal mit bestimmten Kollegen austauschen zu können. Leider kam mir der Rote Tod dazwischen.«
»Man kann eben nicht alles haben.«
»Du sagst es.«
Unser Gespräch war beendet, und ich schaute in das Gesicht einer Lady Sarah Goldwyn, das mich strahlend und mit einem triumphierenden Glitzern in den Augen anschaute.
Ich beugte mich vor und sagte:«Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil.«
»Das brauchst du gar nicht.«
»Sondern?«
»Du musst nur versprechen, in der Zukunft besser auf mich zu hören. Es gibt eben Dinge, zu denen ich einen besseren Draht habe als du. Der Rote Tod ist das beste Beispiel. Als ich den Artikel las, da durchfloss plötzlich kaltes Blut meine Adern. Und genau das ist für mich ein Zeichen, dass etwas in Bewegung gekommen ist.«
»Ja, stimmt.« Ich schaute auf die Uhr. »Hoffentlich schaffe ich es noch rechtzeitig.«
»Geh hoch, unter dem Dach steht der Computer, und bestell dir dein Ticket. Mehr kann ich dir auch nicht raten.«
»Danke, wenn ich dich nicht hätte.«
»Geh schon, sonst werde ich noch rot bei diesen falschen Komplimenten...«
***
Es roch nach Döner und Gewürzen. Die Imbissbude lag nicht weit vom Rathaus mit dem Gänselieselbrunnen entfernt. Sie war recht klein und auch eng, aber sie war überfüllt, denn die hungrigen Kunden – in der Regel Studenten – bildeten eine Schlange, und die reichte bis nach draußen. Der Name der Bude leuchtete über der Schaufensterscheibe und hörte sich so ähnlich an wie der eines deutschen Fußballers, der vor kurzem ein Buch geschrieben hatte.
Hanna Kohler war einfach losgegangen. In der Zwischenzeit hatte sich der Himmel über der Stadt dunkel eingefärbt und eine bläuliche Farbe bekommen, vermischt mit einem tiefen Grau. Die Sterne oder der Mond waren nicht zu sehen, dafür hingen die Wolken zu tief, aber es hatte sich auch kaum abgekühlt, und deshalb würde die Nacht noch weit über die Tageswende belebt sein.
Der Rote Tod war da. Daran glaubte Hanna fest.
Nur schien sie die Einzige zu sein, denn von einer Angst, das nächste Opfer zu werden, war bei den Nachtschwärmern nichts zu spüren. Sie gaben sich locker, sie waren gut drauf und hatten ihren Spaß.
In Gruppen zogen sie durch die Straßen. Manche der jungen Leute hatten sich eingehakt, andere wiederum schlenderten locker nebeneinander her. Man machte sich keinen Stress. Auch Radfahrer waren unterwegs und genossen die Nacht.
Und doch war die Nacht anders. Hanna entdeckte hin und wieder die Polizeistreifen, die plötzlich aus irgendwelchen Gassen oder schmalen Straßen erschienen und sehr wachsam wirkten. Es waren zwei Morde passiert, da wurde die Polizei schon wach. Niemand garantierte, dass nicht noch welche geschahen.
Immer wenn Hanna die Polizisten in ihren grünen Uniformen sah, zog sie sich zurück. Sie war
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