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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Adelaide
klammerte sich noch fester an ihn und flüsterte: „Bitte gehn Sie nicht
-- sie bringt mich um, wenn Sie nicht da sind -- ganz sicher - "
„Adelaide, wir müssen Mr. Bedwell mitnehmen", sagte Frederick
sanft. „Es geht ihm nicht gut. Er kann hier nicht bleiben. Mrs. Holland
hält ihn hier fest, gegen das Gesetz - "
„Sie hat gesagt, daß ich niemand reinlassen soll! Sie bringt mich
um!"
Das Kind war ganz außer sich vor Angst, und Matthew Bedwell
streichelte mechanisch ihr Haar und versuchte zu verstehen, was hier
vor sich ging.
Und dann hielt der Vikar die Hand hoch, um Ruhe zu gebieten.
Sie konnten Schritte und Stimmen aus dem Erdgeschoß hören, und
dann rief eine heisere alte Stimme: „Adelaide!"
Das Kind winselte und wich an die Wand zurück.
Frederick nahm sie am Arm und fragte sanft: „Gibt es eine
Hintertreppe?"
Sie nickte. Er wandte sich an Nicholas Bedwell und sah, daß der
Vikar schon aufgestanden war.
„Ich tu so, als sei ich er. Ich lenk sie ab und Sie schaffen ihn über
die Hintertreppe raus, 's is alles gut, mein Liebes", sagte er zu
Adelaide. „Sie wird den Unterschied nie erfahren."
„Aber sie hat - " begann Adelaide und wollte etwas über Mr. Berry
sagen, aber da rief die alte Frau wieder, und sie brach ab.
Der Vikar verließ rasch den Raum. Sie hörten, wie er den Gang
entlangrannte und dann die Treppen hinunter, und Frederick zerrte an
Matthew Bedwell herum. Der Seemann erhob sich schwankend.
„Auf geht's", sagte Frederick. „Wir bringen Sie raus. Aber Sie
müssen sich beeilen und still sein."
Der Seemann nickte.
„Auf geht's, Adelaide", murmelte er. „Zeig uns den Weg, Kind."
„Ich trau mich nicht", wisperte das Kind.
„Du mußt aber", sagte Bedwell. „Sonst werd ich wütend. Los, mach
schon."
Sie rappelte sich hoch und rannte durch die Tür. Bedwell folgte mit
seinem Seesack aus Segeltuch, und Frederick bildete den Schluß,
wobei er immer wieder stehenblieb, um zu horchen. Er hörte die
Stimme des Vikars und Mrs. Hollands krächzende Antwort; warum
hatten bloß alle solche Angst vor ihr?
Adelaide führte sie eine Treppe hinunter, die noch enger und
schmutziger war als die andere. Sie blieben im Gang im Erdgeschoß
stehen. Die Stimme des Vikars erklang undeutlich und rauh aus der
Nähe der Haustür, und Frederick flüsterte dem Kind zu: „Zeig uns die
Hintertür."
Zitternd öffnete sie die Küchentür, und sie traten in die Küche. Und
prallten auf Mr. Berry.
Der hantierte gerade mit einem Topf am Feuer. Er blickte auf und
starrte sie an; seine zerfurchte Stirn runzelte sich einigermaßen
mühsam. Frederick überlegte blitzschnell.
„Hallo", sagte er und nickte ihm zu. „Wo geht's hier denn in 'n Hof
raus, Kamerad?"
„Da", sagte der große Mann und machte eine Kopfbewegung in
diese Richtung.
Frederick stupste Bedwell, der sich mit ihm vorwärts bewegte, und
nahm Adelaide an der Hand. Sie kam widerstrebend mit. Mr. Berry
sah blöde zu, wie sie aus der Küche gingen, und setzte sich dann hin,
um eine Pfeife anzuzünden. Sie befanden sich jetzt in einem dunklen
kleinen Hof. Adelaide klammerte sich an Fredericks Hand, er
bemerkte, daß sie heftig zitterte. Sie war ganz weiß.
„Was ist?" fragte er.
Sie brachte kein Wort heraus. Sie hatte furchtbare Angst. Frederick
schaute um sich: Auf der einen Seite war eine etwa zwei Meter hohe
Backsteinmauer, und dahinter befand sich wohl eine Gasse.
„Bedwell", sagte er, „springen Sie rauf und nehmen Sie das
Mädchen. Adelaide, du kommst mit uns. Du hast ja solche Angst, da
können wir dich nicht hierlassen..."
Bedwell kletterte hinauf, und dann sah Frederick, daß sich
Adelaides Angst auf einen Flecken nackter Erde an der Mauer
konzentrierte. Er hievte sie hoch zu Bedwell und stieg dann selbst
hinauf.
Bedwell schwankte und sah krank aus. Frederick drehte sich um, er
machte sich Sorgen um den Vikar und was wohl geschehen würde,
wenn Mrs. Holland die Wahrheit entdeckte. Aber im Augenblick
mußte er sich um einen kranken Mann und ein verschrecktes Kind
kümmern, und sie mußten darauf gefaßt sein, daß sie jeden
Augenblick verfolgt werden könnten.
„Auf geht's", sagte er. „Auf der anderen Seite der Brücke wartet
eine Droschke. Nichts wie ab..."
    Sally, die gerade dabei war, eine Anzeige abzufassen, schaute
überrascht auf, als Frederick in den Laden stolperte, den bewußtlosen
Bedwell mit sich schleppend. Zuerst sah sie das Kind nicht, das ihnen
folgte.
    „Mr. Bedwell!" sagte sie.

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