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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Augen und warf einen qualvollen Blick darauf. „Nie
gesehn", sagte er und zuckte zurück.
Aber diesmal drohte ihm Mr. Berry nur mit dem Finger.
„Scharf überlegen", sagte er. „Du bist 'ne Enttäuschung für uns, das
biste."
Und dann schlug er ihn. Der junge Mann fiel heulend auf die Knie.
„Ich sag's ja schon, ich hab's gefunden. Ich hab's Solly Lieber
gebracht, un er hat mir 'n Fünfer dafür gegeben. Das ist alles,
ehrlich!" jammerte er. „Wo hast du's her?"
„Hab's doch gesagt, hab's gefunden!"
Mrs. Holland seufzte. Mr. Berry, der vor soviel widerspenstiger
Bosheit menschlicher Natur den Kopf schüttelte, schlug ihn wieder,
und diesmal wurde der junge Mann wütend. Wie ein Pfeil schoß er
durch den Raum und tauchte rasch in das Kommodenwrack, um mit
einer Pistole wieder aufzutauchen. Seine beiden Besucher wurden
still.
„Wenn Se einen Schritt machen -- seh -- seh -- schieß ich", stotterte
er.
„Na, dann los", sagte Mr. Berry. „Das tu ich auch!"
Mr. Berry streckte den Arm aus und pflückte ihm die Pistole aus der
Hand wie einen Apfel vom Baum. Der junge Mann sackte zusammen.
„Soll ich ihm noch mal eine überbraten?" wollte Mr. Berry wissen.
„Nein! Nein! Nicht schlagen!" stammelte der junge Mann. „Ich sag
alles!"
„Schlagen sie ihn trotzdem", sagte Mrs. Holland und nahm die
Pistole. Als diese Formalität beendet war, fuhr sie fort: „Was haste
sonst noch Henry Hopkins abgenommen?"
„Die Nadel. Die Pistole", schluchzte er. „'n paar
Zwanzigschillingstücke, 'ne Uhr mit Kette und 'n silbernen
Flachmann."
„Was noch?"
„Nix mehr, Ma'am, das schwör ich."
„Kein Papier?"
Der junge Bursche starrte sie an.
„Aha", sagte Mrs. Holland. „Machen Se weiter, Mr. Berry, bloß so,
daß er noch was sagen kann."
„Nein! Nein! Bitte!" schrie Ernie Blackett, als Mr. Berry die Faust
erhob. „Da ist's -- da! Da!"
Er wühlte in der Tasche, warf ein paar Papierfetzen hin und wandte
sich dann zitternd ab. Mrs. Holland grapschte danach und überflog sie,
während Mr. Berry abwartend dastand. Sie blickte auf. „Ist das alles?
Sonst nichts?"
„Überhaupt nix mehr, ich schwör's! Ehrlich!"
„Ah, du bist aber nicht ehrlich", sagte Mrs. Holland ernst. „Das ist
das Problem. Kommen Sie, Mr. Berry. Wir nehmen die Pistole mit, sie
soll uns an unseren guten Freund Henry Hopkins erinnern.
Verstorben."
Sie humpelte zur Tür und wartete auf dem übelriechenden
Treppenabsatz, während Mr. Berry zu ihrem Gastgeber sprach.
„Ich mag's gar nicht, wenn junge Männer in deinem Alter saufen",
sagte er würdevoll. „Alkohol ruiniert euch junge Männer, so is das
nämlich. Ich hab gemerkt, daß de betrunken bist, als ich reinkam. Nur
'n winziger Schluck Alkohol is der erste Schritt auf dem Weg zum
Wahnsinn, zu Wahnvorstellungen, Gehirnerweichung und
moralischem Sumpf, 's kann einem 's Herz brechen, wenn man
mitansehn muß, wie viele Männer ihr Leben mit dem Alkohol
ruinieren. Hände weg davon, das is mein Rat. Du mußt 'n
Versprechen ablegen, daß de nich mehr trinkst, so wie ich. Dann biste
'n besserer Mensch. Hier -- ", er fummelte in einer Innentasche herum.
„Ich laß dir 'n nützlichen Schrieb da, damit de dich besserst. Es heißt
,Die Klage des Betrunkenen' von ,Einem, der das selige Licht gesehen
hat'."
Er steckte das kostbare Dokument in Ernie Blacketts schlaffe Hand
und ging zu Mrs. Holland auf die Treppe hinaus.
„War's das, Mrs. Holland?"
„Das war's, Mr. Berry. Sie is schlauer als ich gedacht hab, das
kleine Luder."
„Häh?"
„Nichts... nach Wapping zurück, Mr. Berry."
Ernie Blackett hatte Glück gehabt, daß er gestanden und Mrs.
Holland die Papierstücke gegeben hatte. Als nächstes hätte sie Mr.
Berry angewiesen, ihn zu durchsuchen, und wenn er es gefunden
hätte, wäre Ernie ganz schnell bei Henry Hopkins gelandet, in jener
Ecke des Jenseits, die für kleine großstädtische Kriminelle reserviert
ist; dort hätten sie ihre kurze Bekanntschaft vertiefen können. So, wie
die Sache stand, war er noch glimpflich davongekommen: mit zwei
gebrochenen Rippen, einem blauen Auge und einem Maßha ltetraktat
als Strafe.
AUSGETAUSCHT
    Gerade als Mrs. Holland und Mr. Berry das Pferdefuhrwerk zurück
nach Wapping bestiegen, fuhr eine Droschke am Hangmans Kai vor.
Frederick Garland bat den Kutscher zu warten, und Mr. Bedwell
klopfte an die Tür der Pens ion Holland.
    Frederick schaute nach rechts und nach links. Die kleine
Häuserreihe stand direkt hinter der High Street von

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