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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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alte Mann lose um den Hals geschlungen hatte, und
ihn brutal über den Ladentisch zog und dabei ein Brett mit Uhren und
ein Tablett mit Ringen auf den Boden warf.
    „Wir wollen keine kaufen, wir wollen die sehen, die Sie gestern
beliehen haben", sagte er.
„Gewiß, Sir! Bin ganz zu Ihren Diensten!" keuchte der alte Mann
und umklammerte Mr. Berrys Jackett, um nicht erdrosselt zu werden.
Seine Beine lagen auf dem Ladentisch. Mr. Berry ließ ihn los, und er
stürzte zu Boden. „Oh, bitte -- bitte tun Sie mir nichts -- bitte, Sir --
schlagen Sie mich nicht -- ich bitte Sie, Sir! Meine alte Frau - " Er
zitterte und stammelte und versuchte, sich an Mr. Berrys Hosen
hochzuziehen. Mr. Berry stieß ihn weg.
„Bringen Sie Ihre Frau rein und ich mach Hackfleisch aus ihr",
knurrte er. „Suchen Sie die Nadel, aber 'n bißchen plötzlich."
Der Pfandleiher öffnete eine Schublade mit zitternden Händen und
streckte ihnen eine Nadel entgegen.
„Ist es die, Ma'am?" fragte Mr. Berry und nahm sie in die Hand.
Mrs. Holland betrachtete sie gründlich. „Das ist sie. Wer hat sie
gebracht, Mr. Lieber? Falls Sie sich nicht erinnern können: Mr. Berry
kann Ihnen da sicher behilflich sein."
Mr. Berry machte einen Schritt auf ihn zu, worauf der alte Mann
heftig nickte.
„Klar erinnere ich mich", sagte er. „Heißt Ernie Blackett. Junger
Bursche. Croke's Court, Seven Dials."
    „Danke, Mr. Lieber", sagte Mrs. Holland. „Ich sehe, Sie sind ein
vernünftiger Mann. Sie müssen 'n bißchen vorsichtig sein, wem Sie
Ihr Geld leihen. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich die Nadel
nehme, oder?"
    „Es ist nicht -- ich hab's erst einen Tag lang -- ich darf sie noch nicht
verkaufen -- das schreibt das Gesetz vor, Ma'am", sagte er verzweifelt.
„Ich will sie ja gar nicht kaufen", sagte sie. „Dann geht's wohl in
Ordnung, was? Auf Wiedersehen, Mr. Lieber."
    Sie ging, und Mr. Berry folgte ihr aus dem kleinen Laden, nachdem
er geistesabwesend mehrere Schubladen auf den Fußboden geleert, ein
halbes Dutzend Schirme zerbrochen und Mr. Lieber die Beine
weggetreten hatte.
    „Seven Dials", sagte sie. „Nehmen wir die Pferdebahn, Mr. Berry.
Meine Beine tun nich mehr so mit." „Seine auch nich", bemerkte Mr.
Berry, der knurrend seine eigene Schlagfertigkeit bewunderte.
    Ein so scheußliches und übervölkertes Labyrinth wie Croke's
Court, Seven Dials konnte man in ganz London sonst nicht finden;
wobei seine Häßlichkeit eine andere war als die von Wapping. Die
Nähe zum Fluß verlieh den Verbrechen bei Hangmans Kai sozusagen
einen gewissen ,nautischen Spritzer', während Seven Dials bloß
großstädtisch heruntergekommen war. Außerdem war Mrs. Holland
dort nicht in ihrem Revier. Die unübersehbare Gegenwart von Mr.
Berry glich dies jedoch wieder aus. Da er seinen Charme spielen ließ,
fanden sie bald das Zimmer, das sie suchten -- in einer Mietskaserne,
die von einem Iren, seiner Frau, ihren acht Kindern, einem blinden
Musiker, zwei Blumenmädchen, einem Verkäufer von Balladen und
letzten Bekenntnissen von Mördern und einem Marionettenspieler
bewohnt wurde. Der gesuchte Raum wurde ihnen von der Frau des
Iren gezeigt.
    Mr. Berry stieß mit dem Fuß an die Tür; sie traten ein und fanden
einen fetten Jugendlichen vor, der auf einem schmutzigen Bett schlief.
Er bewegte sich, wachte aber nicht auf. Mr. Berry schnüffelte.
    „Betrunken", verkündete er. „Scheußlich."
„Wecken Sie ihn, Mr. Berry", sagte Mrs. Holland. Mr. Berry hob
das Bett am unteren Ende an und kippte es samt Schläfer, Decken und
allem in einem wüsten Knäuel auf den Boden.
„Was is?" kam es von dem jungen Burschen, gedämpft durch das
Kissen.
Als Antwort hob ihn Mr. Berry hoch und schleuderte ihn gegen das
einzige andere Möbelstück, das im Raum war, eine wacklige
Kommode. Diese zerbarst prompt, und der junge Bursche lag
stöhnend zwischen den Bruchstücken.
„Steh auf", drohte Mr. Berry. „Wo bleiben deine Manieren?"
Der junge Mann kam mühsam hoch, indem er Halt an der Wand
suchte. Die Angst, die zu seinem enormen Kater noch hinzukam, ließ
sein Gesicht ganz grün erscheinen. Er schaute seine Besucher trübe
an.
„Wer sind Sie?" brachte er schließlich heraus.
„Na, na", sagte Mrs. Holland. „Was weißte denn von Henry
Hopkins?"
„Nix", antwortete der junge Mann, und Mr. Berry versetzte ihm
einen Schlag. „Aua -- lassen Se mich in Ruhe!"
Mrs. Holland nahm die Diamantnadel heraus. „Und was ist damit?"
Er verengte die

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