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Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari

Titel: Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Mennen
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Männer sich an den Händen halten mussten, um ihn zu umfassen. Seine Wurzeln umragten ihn wie dicke Spinnenbeine, bevor sie in den sandigen Boden der Kalahari stießen, um in großen Tiefen Wasser zu finden. Nakeshi war schon lange nicht mehr hier gewesen. Trotzdem wusste sie genau, wo sie mit ihrem Grabstock suchen musste. Sie hatte nicht vergessen, was Sheshe, die Heilerin, ihr einmal gezeigt hatte. Aufmerksam umrundete sie den Baum, bis sie schließlich die Stelle entdeckte, wo sich zwei Luftwurzeln kreuzten. Ein Stück oberhalb hatte der Mankettibaum eine armlange Verletzung in seiner Rinde, die im Laufe der Jahre zu einer tiefen
Schrunde vernarbt war. Zwei Armlängen davon entfernt musste sie graben. Sie wurde schnell fündig. Sobald sie den Anfang der Gwa-Wurzel ertastet hatte, legte sie den Stock beiseite und schaufelte vorsichtig mit beiden Händen den roten, feinkörnigen Sand zwischen den Baumwurzeln beiseite. Das Graben war anstrengend. Feine Schweißperlen sammelten sich auf der apricotfarbenen Haut ihrer Stirn und Schläfen und liefen in feinen Bächen ihr Gesicht herab. Endlich ertasteten ihre Finger einzelne, zweifingerdicke Knollen am Ende der Wurzeln. Vorsichtig löste sie den Sand von der obersten Knolle und zog sie mitsamt der Wurzel heraus. Die anderen Gwa-Knollen ließ sie an Ort und Stelle. Zu gegebener Zeit würde sie sie für ein anderes Ritual ausgraben. Zärtlich strich Nakeshi über die dunkle Gwa-Knolle in ihren Händen, erst dann steckte sie sie in ihren mit bunten Straußeneierperlen bestickten Sammelbeutel und machte sich eilig auf den Heimweg.
    Sheshe würde zufrieden sein! Das machte Nakeshi froh, denn sie liebte ihre Tante. Sie war die jüngere Schwester ihres Vaters Debe und stand ihr in vielem näher als ihre oft so rechthaberische Mutter Chuka. Nakeshi fühlte sich in vielerlei Hinsicht mit Sheshe verbunden. Und ihrer Tante ging es umgekehrt genauso. Denn nach dem Glauben der Joansi stand jeder Stern am Himmel für einen Menschen auf Erden. Sheshe und sie waren Sternenschwestern. Der große Kauha hatte sie beide im gleichen Sternenbild nebeneinander gehängt. Sie hatten einander erkannt und waren eine lebenslange Bindung eingegangen. Sie konnten sogar durch die Kraft ihrer Gefühle spüren, wie es dem anderen ging, und körperlos Kontakt zueinander aufnehmen. Sheshe war der erste Stern in ihrem Sternbild, den sie erkannt hatte.
    Sie hatten so vieles gemeinsam. Genau wie ihre Tante mochte Nakeshi es, allein durch den Busch zu ziehen, um Feldkost zu sammeln. Sie genoss es, in aller Ruhe ihren Gedanken nachzuhängen und sich Einzelheiten ihrer Umgebung einzuprägen. Ihre
Tante hatte ihr schon viel von den verborgenen Kräften in Pflanzen, Tieren und auch Orten erzählt und sie ein Stück weit in die Anderswelt, die Welt der Geister, eingeführt. Ihre Mutter Chuka sah das nicht gern. Ihr missfiel, dass ihre Tochter so viel allein war und sich damit der Gemeinschaft ihrer Gruppe entzog. Sheshe wurde nicht müde, sie dafür immer wieder in Schutz zu nehmen.
    »Wie sollte Nakeshi denn anders sein als ich?«, wiederholte sie immer wieder. »Ihr Stern und meiner sind Schwestern am großen Himmelszelt!« Vielleicht war dieses Sternbild auch schuld daran, dass in Nakeshi ein genauso starkes Num heranzuwachsen begann wie in ihrer Tante. Schon zweimal war sie während der Regenmachertänze in Trance gefallen - und das, obwohl sie noch nicht einmal eine Frau war. Sheshe hatte es mit Freude und Besorgnis beobachtet. Der Trancezustand war äußerst gefährlich. Der Geist löste sich vom Körper und entschwebte in die Anderswelt. Wenn das Num, die Gabe, keine feste Verbindung zwischen Geist und Körper schuf, konnte der Geist sich nur allzu leicht vom Körper lösen und würde nie wieder zurückfinden. Um das zu verhindern, brauchten sie die Gwa-Wurzeln. Sheshe wollte Nakeshi zeigen, wie man aus der Wurzel einen Trank braute, mit dessen Hilfe sie sich in kontrollierte Trance versetzen konnte.
    Wieder spürte sie das heftige Ziehen in ihrer Leiste. Sie versuchte es zu ignorieren und lief noch schneller. Doch schon nach wenigen Schritten blieb sie abrupt stehen. Voller Abscheu - jedoch ohne einen Blick dorthin zu wagen - registrierte sie, wie sich zwischen ihren Beinen etwas Feuchtes unangenehm auszubreiten begann. Es fühlte sich warm an und floss in dünnen Rinnsalen zu ihren Knien hin. Angst und Ekel erfüllten Nakeshi. Gleichzeitig ärgerte sie sich über ihre eigene Panik. Mit zugekniffenen

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