Der Ruf der Kiwis
gemessen. Sarah Bleachums Familie war ausgewandert, als das Mädchen noch ein Baby war. Aus eigener Erfahrung konnte sie also auch keine Auskunft geben. »Aber das ist unterschiedlich. Und Oaks Garden ist wohl mehr künstlerisch orientiert. Mein Cousin schreibt, die Mädchen dort treiben wenig Sport.« Beim letzten Satz wurde Miss Bleachum glühend rot.
»Ihr Cousin?«, neckte James denn auch gleich. »Sollten wir da etwas verpasst haben?«
Da sie kaum noch röter werden konnte, wechselte Miss Bleachums Teint zu Blässe mit roten Flecken.
»Ich ... äh ... mein Cousin Christopher hat soeben seine erste Pfarrstelle bei Cambridge angetreten. Oaks Garden gehört zu seinem Sprengel ...«
»Ist er nett?«, fragte Gloria. Sie klammerte sich inzwischen an jeden Strohhalm. Wenn wenigstens ein Verwandter von Miss Bleachum da sein würde ...
»Er ist sehr nett!«, versicherte Miss Bleachum. James und Jack beobachteten fasziniert, dass sie sich dabei schon wieder verfärbte.
»Aber du wirst sowieso nicht ganz alleine sein«, spielte Gwyneira jetzt ihren Trumpf aus. Tim und Elaine Lambert hatten ihr am Tag zuvor zugesagt, Lilian würde mit nach England fahren. »Deine Cousine Lily kommt mit. Die magst du doch gern, nicht, Glory? Ihr werdet eine Menge Spaß miteinander haben!«
Gloria wirkte ein wenig getröstet, obwohl sie an den Spaß nun doch nicht glauben konnte.
»Wie stellt ihr euch denn eigentlich die Reise vor?«, bemerkte Jack plötzlich. Er wusste, dass er sich vor Gloria nicht kritisch äußern sollte, aber ihm kam all das falsch vor, und er konnte nicht an sich halten. »Sollen die zwei kleinen Mädchen ganz allein aufs Schiff? Mit einem Schild um den Hals? ›Abzugeben in Oaks Garden, Cambridge‹?«
Gwyneira funkelte ihren Sohn zornig an, obwohl sie es war, die sich ertappt fühlen musste. Tatsächlich hatte sie der genauen Reiseplanung noch keinen Gedanken geschenkt. »Natürlich nicht. Kura und William werden sie doch wohl abholen ...«
»Ach ja?«, fragte Jack. »Ihrer Tourneeplanung zufolge sind sie im März in St. Petersburg.« Er spielte mit einem Prospekt, der auf dem Kamintisch gelegen hatte. Kura und William ließen die Familie stets an ihren Reiseplänen teilhaben, und Gwyneira hing pflichtschuldig Kuras Tourneeplakate an die Wand in Glorias Zimmer.
»Sie sind ...?« Gwyneira brach ab. Sie hätte sich ohrfeigen können. All das hätte nicht vor Gloria besprochen werden sollen. »Wir werden jemanden finden müssen, der die Mädchen begleitet.«
Miss Bleachum schien mit sich zu ringen. »Wenn ich ... äh ... ich ... möchte ja nicht aufdringlich sein, aber falls ... ich meine, ich könnte ...« Erneut schoss ihr das Blut ins Gesicht.
»Wie sich die Zeiten ändern«, bemerkte James. »Vor fünfzig Jahren hat man sich noch in die andere Richtung verheiratet.«
Miss Bleachum schien einer Ohnmacht nahe. »Wie ... woher ...?«
James lächelte ermutigend. »Miss Bleachum, ich bin alt, aber nicht blind. Wenn Sie Diskretion wünschen, müssen Sie sich das Erröten bei der Erwähnung eines gewissen Reverends abgewöhnen.«
Miss Bleachum wurde wieder einmal blass.
»Bitte glauben Sie jetzt nicht, dass ...«
Gwyneira schaute irritiert auf. »Verstehe ich das jetzt richtig? Sie würden die Mädchen gerne nach England begleiten, Miss Bleachum? Sie wissen, dass Sie mindestens drei Monate lang unterwegs sein werden?«
Miss Bleachum wusste nicht, wo sie hinschauen sollte, und Jack tat sie allmählich leid.
»Mutter, Miss Bleachum versucht uns gerade auf möglichst schickliche Weise mitzuteilen, dass sie erwägt, die vakante Stelle einer Pfarrersfrau in Cambridge anzunehmen«, meinte er schmunzelnd. »Sofern sich die Affinität bestätigt, die sie nach einem langjährigen Briefwechsel mit ihrem Cousin Christopher in Cambridge bei beiden Teilen zu verspüren meint. Habe ich das jetzt korrekt ausgedrückt, Miss Bleachum?«
Die junge Frau nickte erleichtert.
»Sie wollen heiraten, Miss Bleachum?«, fragte Gloria.
»Sind Sie denn verliebt?«, fragte Lilian.
Eine Woche vor der Abreise nach England war Elaine mit ihrer Tochter auf Kiward Station eingetroffen, und wieder hatte es zwei Tage gedauert, bis Gloria ihre Schüchternheit gegenüber den Verwandten überwand. Elaine tröstete derweil Gwyneira. Gerade in Anbetracht von Glorias Zurückhaltung Gleichaltrigen gegenüber hielt sie es nicht für die schlechteste Idee, dem Mädchen ein paar Jahre Internatserziehung angedeihen zu lassen.
»Hätte Kura
Weitere Kostenlose Bücher