Der Ruf der Kiwis
Glory!«, tröstete er sie. »Denk doch mal an Princess. Die kommt auch aus England. Es gibt dort Schafe und Ponys, genau wie hier ...«
Jack fing einen Blick von Miss Bleachum auf, die sich offensichtlich auf die Lippen biss. Ihr Pflichteifer hätte sie beinahe dazu getrieben, Jacks Worte richtigzustellen. Sie hatte sich inzwischen genauer erkundigt: Es gab weder Schafe noch Pferde in Oaks Garden. Doch ihr Mitgefühl ließ sie schweigen. Auch Sarah Bleachum liebte Gloria.
Schließlich blieben Jack und Elaine am Kai stehen und winkten, während das riesige Dampfschiff hinaus in die Bucht fuhr.
»Hoffentlich tun wir das Richtige«, seufzte Elaine, als sie es endlich aufgaben. Die Kinder konnten sie längst nicht mehr sehen. »Tim und ich sind uns alles andere als sicher, aber Lily wollte es ja unbedingt ...«
Jack antwortete nicht. Er hatte genug damit zu tun, gegen die aufsteigenden Tränen anzukämpfen. Aber dann mussten sie sich glücklicherweise beeilen. Elaines Zug nach Greymouth fuhr gegen Mittag, und Jack musste die Pferde antreiben, um rechtzeitig da zu sein.
Deshalb gab es auch keine große Abschiedsszene zwischen den Verwandten. Elaine küsste Jack nur kurz auf die Wange.
»Sei nicht traurig«, beschied sie ihm. »Wenn ich das nächste Mal komme, bringe ich die Jungs mit. Dann zeigst du denen, wie man Hunde trainiert!« Seit es die Zugverbindung zwischen Ost- und Westküste gab, waren die Entfernungen geschrumpft. Elaine konnte in ein paar Monaten wieder zu Besuch kommen, selbst Grandma Gwyn und James waren schon mit der Eisenbahn an die Westküste gereist.
Jack verließ schließlich den Bahnhof und lenkte sein Gespann in Richtung Avon. George Greenwood und seine Frau Elizabeth besaßen ein Haus in Flussnähe – genau genommen hatte Elizabeth das kleine Stadthaus von ihrer Ziehmutter geerbt. George pflegte zu scherzen, dass er sie nur deshalb geheiratet hatte. Als er sich in Christchurch ansiedeln wollte, hatte es in der aufstrebenden Stadt kaum Wohnraum gegeben. Inzwischen war allerdings viel gebaut worden, und das Haus der Greenwoods lag fast im Zentrum. Jack suchte George nun auf, um ein paar Fragen bezüglich des Wollhandels mit ihm zu besprechen. Elizabeth hatte ihn außerdem eingeladen, die Nacht bei ihnen zu verbringen. Der junge Mann hatte widerwillig zugesagt. Eigentlich war ihm auch jetzt noch nicht nach Konversation. Er wäre lieber in stummem Brüten nach Kiward Station zurückgefahren.
Elizabeth Greenwood, eine leicht füllige Matrone mit klaren Zügen und freundlichen blauen Augen, bemerkte seine unglückliche Miene denn auch gleich, als sie ihm die Tür öffnete. Eine andere Dame ihres Standes hätte dies dem Hausmädchen überlassen, aber Elizabeth kam aus einfachsten Verhältnissen und war bescheiden geblieben.
»Wir heitern dich ein bisschen auf!«, versprach sie und zog Jack tröstend in die Arme. Elizabeth Greenwood und Gwyneira McKenzie waren mit dem gleichen Schiff aus England nach Neuseeland gekommen. Elizabeth kannte die Geschichte von Kiward Station sehr gut, und Jack war wie ein Verwandter für sie.
»Mein Gott, Junge, du guckst ja, als hättest du die kleine Gloria aufs Schafott geschickt!« Elizabeth nahm Jack fürsorglich seinen Regenmantel ab. Draußen nieselte es – ein Wetter, das zu seiner Stimmung passte. »Dabei sind die Mädchen ganz glücklich in England. Unsere Charlotte wollte gar nicht wiederkommen! Die ist gleich noch ein paar Jahre länger geblieben.« Elizabeth lächelte und öffnete Jack die Tür zu ihrem winzigen Empfangszimmer.
»Das stimmt doch gar nicht, Mom!«
Das Mädchen, das im Zimmer gesessen und gelesen hatte, musste die letzten Worte gehört haben. Nun sah es auf und blickte Elizabeth vorwurfsvoll an.
»Ich hatte immer Heimweh nach Canterbury ... manchmal träumte ich von dem Blick über die Plains hin zu den Alpen. Nirgendwo ist die Luft so klar wie hier ...« Eine sanfte, singende Stimme. Vielleicht so, wie Elizabeth sich angehört hätte, hätte sie ihre Stimmführung nicht ständig eisern kontrolliert. Elizabeth Greenwood hatte als Kind gelispelt und stammte obendrein aus einem der ärmsten Londoner Stadtviertel. Sie hatte zeitlebens daran gearbeitet, den entsprechenden Tonfall und Dialekt abzulegen.
Und dies war nun wohl Charlotte, ihre jüngste Tochter. Jack hatte bereits gehört, dass sie wieder in Christchurch weilte. Sie war mit dem gleichen Schiff angekommen, das ihm jetzt Gloria entführte. Doch als das Mädchen sich nun Jack
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