Der Ruf der Kiwis
geheimnisvoll und zog ihren Sohn und ihre Urenkelin zu Princess’ Box. »Er ist gerade geboren!« Gwyneira wies in den Stall, und Jack und Gloria drängten sich davor aneinander.
Neben der Reitponystute stand ein schokoladenfarbener kleiner Hengst. Eine winzige weiße Schnippe saß zwischen seinen Nüstern, und ein Stern stand auf seiner Stirn.
Gloria sah zu Jack auf. »Das Fohlen, das du mir versprochen hast.«
Jack nickte. »Es sollte auf dich warten, wenn du zurückkommst.«
»Jack!« Tim Lambert war nicht aus dem Haus gegangen, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Gegen Abend wurde es noch kälter und ungemütlicher, und auf Kiward Station trieb er sich ohnehin schon öfter im Regen herum, als es seinen Knochen guttat. Das riesige Herrenhaus wurde zudem kaum warm. Im Grunde war es nur mit viel mehr Personal behaglich zu halten, als Gwyneira unterhielt. Tim sehnte sich nach seinem kleinen, gemütlichen Haus in Greymouth, und eigentlich auch nach seinem Büro. Er freute sich auf Kohlenhalden und Fördertürme. Schafe hatte er für die nächsten Jahre genug gesehen.
Was Jack und Gloria auch noch zwei Stunden nach ihrer Ankunft auf der Farm in den Ställen hielt, war ihm ein Rätsel. Selbst Maaka, der die Schafe nach ihrem Eintreffen übernommen hatte, war inzwischen hereingekommen, er saß etwas befangen neben Tim am Kamin. Aber jetzt traten auch Jack und Gloria endlich ein, beide schmutzig und mit wirrem Haar, aber mit unverkennbar glücklichem Gesichtsausdruck. Maaka schenkte seinem Freund einen Whiskey ein. Wie alle Maoris war er bereit, sich Zeit für die Begrüßung zu lassen. Tim kam jedoch gleich zur Sache.
»Wir müssen uns unbedingt unterhalten, Jack. Diese Scherschuppen ... und dein Personal hier. Ich habe deinen Vormann dazugebeten, wir ...«
Jack wehrte lächelnd ab. »Später, Tim ... und Maaka. Bitte. Und ich möchte jetzt auch eigentlich keinen Whiskey. Ich brauche ein Bad, etwas zu essen ... Wir essen doch alle zusammen? Danach können wir reden.«
Maaka nickte ihm zu. »Jederzeit«, sagte er. »Jetzt, da du zurück bist.«
Kiward Station hatte selten eine so große Tischrunde gesehen wie an diesem Abend. Tim und Elaine, Lilian und Ben, Caleb, dazu Maaka und seine etwas befangen wirkende junge Gattin. Waimarama fühlte sich unter all den
pakeha
sichtlich unwohl, zeigte aber untadelige Tischmanieren. Jack begrüßte Roly mit ungewohnter Herzlichkeit und setzte sich dann neben Gloria. Gwyneira saß strahlend der Familie vor und hielt ihren ersten Ururenkel auf den Knien. Galahad sabberte auf ihr schönstes Kleid und ruinierte ihre Frisur, aber so etwas hatte Gwyneira noch nie gestört. Wohlgefällig betrachtete sie Gloria. Das Mädchen trug den Hosenanzug, den sie ihm in Dunedin gekauft hatte. Lilian konnte sich vor Begeisterung kaum halten.
»Das steht dir. Aber auch die neue Kleidermode. Ich zeig dir mal Zeitschriften ...«
Gloria und Jack schwiegen wie fast immer, aber es war kein Schweigen, das Unbehagen auslöste. Beiden schien auch die große Gesellschaft nichts auszumachen. Wenn sie überhaupt redeten, dann über Princess’ Fohlen, was Lilian natürlich auf ihre Vicky brachte.
»Ich musste sie ja leider in Greymouth lassen. Obwohl es so viel romantischer gewesen wäre, zu Pferd zu fliehen! ... Jedenfalls hätte ich sie gern zu Hause. Ob man Pferde wohl mit auf die Fähre nehmen kann, Daddy? Oder werden sie da seekrank?«
Zu Gwyneiras größter Überraschung meldete Jack sich zu Wort. Mit leiser Stimme – als wäre er es gar nicht mehr gewohnt, zu reden – erzählte er von den Kavalleriepferden auf der Seereise nach Alexandria. »Einmal am Tag kehrten die Schiffe um und fuhren gegen den Wind, damit die Hitze gelindert wurde. Ich dachte schon damals, dass man das nicht tun sollte. Dass Pferde auf See nichts verloren haben – und im Krieg erst recht nicht ...«
»Vielleicht ziehen wir ja auch wieder auf die Südinsel«, überlegte Lilian. »Bei mir ist es egal, wo ich schreibe, und Ben kann es sich aussuchen! Die Universität in Dunedin wäre ganz verrückt nach ihm ...« Lilian warf ihrem Gatten einen stolzen Blick zu.
Tim verdrehte die Augen, aber Elaine sah ihn an und schüttelte tadelnd den Kopf.
Gwyneira lächelte wohlwollend.
Später versammelten sich alle im Salon. Tim und Maaka setzten Jack und Gloria ihre Renovierungsvorschläge auseinander, wobei sie gar nicht merkten, dass die beiden vor Erschöpfung beinahe einschliefen. Nach dem Ritt in der Kälte
Weitere Kostenlose Bücher