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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Morgen genommen haben ...«
    Ein kleiner Junge nickte wichtig.
    »Und dann fertigen sie Seile aus Seetang und seilen sich ab zu jenem 
pohutukawa
-Baum, ganz nordöstlich an der Küste ... Hast du ihn gesehen, Charlotte? Er ist viele hundert Jahre alt. Vielleicht kam sein Samen mit unseren Ahnen aus Hawaiki. Die Geister springen vom Baum, steigen hinab zu den Wurzeln und rutschen herab, tief hinunter nach Reinga ...«
    »Das ist eine Art Unterwelt, nicht?«, fragte Charlotte. Jack fiel auf, dass sie sich keine Notizen machte.
    Die alte Frau nickte. »Der Weg führt sie dann nach Ohaua, wo die Geister noch einmal ans Licht kommen, um Aotearoa Lebwohl zu sagen. Und dann ...«
    Ohaua war der höchste Punkt der drei kleinen Inseln gegenüber der Küste.
    »Dann kommen sie niemals zurück«, sagte Charlotte leise.
    »Dann wandern sie nach Hawaiki, in die Heimat ...« Die alte Frau lächelte. »Du bist sehr müde, Kind, nicht wahr?«
    Charlotte nickte.
    »Warum legst du dich nicht einfach schlafen, Liebste?«, fragte Jack. »Du musst völlig erschöpft sein. Von den Geistern kannst du dir auch morgen noch erzählen lassen.«
    Charlotte nickte wieder. Ihr Gesicht zeigte einen fast leeren Ausdruck.
    »Ich helfe dir mit dem Zelt!«
    Jack hatte ein einfaches Zelt und Decken im Wagen. Während Charlotte ins Feuer starrte, machte er sich auf, es zu holen. Irihapeti wies ihm einen Platz zum Aufbauen an. Er lag nah am Meer; die Wellen würden die Besucher in den Schlaf singen.
    In der Erwartung, Anschluss an einen Maori-Stamm zu finden, hatten die McKenzies auch ein paar Geschenke mitgebracht. Saatgut für die Frauen und eine Flasche Whiskey, um ein wenig zur Stimmung am Lagerfeuer beizutragen. Jack brachte sie nun mit und ließ sie kreisen. Charlotte zog sich wirklich bereits zurück.
    »Ich komme bald!«, sagte Jack zärtlich und küsste sie, als sie sich verabschiedete. Irihapeti fuhr sanft mit der Hand über ihre Wange.
    »
Haere mai
«, sagte sie leise, »du bist willkommen.«
    Jack stutzte. Irgendetwas musste er missverstanden haben. Besorgt nahm er einen großen Schluck Whiskey und gab die Flasche dann an die alte Frau weiter. Sie lächelte ihm zu. Vielleicht war er einfach ein bisschen betrunken.
    Während die Männer tranken, griffen Irihapeti und ein paar andere Frauen zu ihren Flöten, was Jack erneut verwunderte. Die Maoris untermalten Gespräche selten mit Musik und begannen damit auch kaum mitten in der Nacht. Die Frauen aber spielten leise und in sich gekehrt, und mehr als einmal vernahm Jack die berühmte »Geisterstimme« der
picorino
-Flöte. Vielleicht waren die Sitten auf der Nordinsel ja anders, oder es handelte sich um ein Ritual, das man speziell hier für die scheidenden Geister zelebrierte.
    Als Jack schließlich in sein Zelt kroch, war er müde vom Whiskey, vom monotonen Flötenspiel und von den langen Geschichten der Männer – er war mit Maoris aufgewachsen, aber noch immer fiel es ihm schwer, den tieferen Sinn ihrer Erzählungen zu begreifen. Ein bisschen unheimlich, von der Geisterstimme in den Schlaf gesungen zu werden ... aber Charlotte schien es nicht zu stören, sie schlummerte anscheinend tief und fest neben ihm. Jacks Herz war erfüllt von Zärtlichkeit, als er sie auf dem primitiven Lager sah, das offene Haar ausgebreitet auf der Decke, die ihr als Kissen diente, das Gesicht allerdings nicht völlig entspannt. Wie lange war es her, dass er sie wirklich friedlich hatte schlafen sehen, unbeschwert von Schmerzen und Angst? Er schob den Gedanken beiseite. Charlotte ging es besser, sie würde sich erholen ... Er küsste sie vorsichtig auf die Stirn, als er sich neben sie legte. Dann schlief er ein.
     
    Charlotte hörte die Stimmen der Geister. Sie riefen sie bereits die ganze Nacht, aber bisher war es nur ein sanftes Locken gewesen. Jetzt wurden sie fordernder, einladender. Es war Zeit.
    Charlotte stand leise auf und tastete sich zum Ausgang des improvisierten Zeltes. Jack schlief tief, das war gut so. Sie schenkte ihm einen letzten Blick voller Liebe. Eines Tages ... im Sonnenschein einer Insel irgendwo im Meer ...
    Charlotte schob ihr Haar zurück und suchte nach ihrem Umhang. Aber sie würde ihn nicht brauchen. Auch wenn es jetzt noch kühl war, beim Aufstieg würde ihr warm werden. Sie folgte dem Weg, den ihr Irihapeti gewiesen hatte. Er stieg sofort steil an. Zum Glück sorgte der Mond für ausreichend Licht, die Stufen im Fels zu erkennen. Charlotte ging schnell, aber ohne Hast. Sie fühlte

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