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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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ausgefeilte Tanzschritte, hörte sich verzweigende Melodien und Instrumente, die zweifellos von den Maoris entwickelt worden waren, aber sehr viel differenzierter eingesetzt wurden als im Ursprungsland. Irgendwann wagte sie dann vorsichtig zu fragen in der Hoffnung, Tamatea würde sie nicht auslachen.
    Die alte Maori zuckte die Achseln. »Es ist ... Kunst«, meinte sie dann, wobei sie für »Kunst« auf das englische Wort zurückgriff.
    »›Kunst‹ und ›künstlich‹ haben wohl dieselben Wurzeln.«
    Tamatea wählte ihre Worte vorsichtig, aber ihrem Ausdruck war leicht zu entnehmen, dass sie Kuras Interpretation der Maori-Musik nicht unbeschränkt billigte.
    William Martyn, der Glorias Frage ebenfalls gehört und sogar verstanden hatte, warf der alten Frau einen missbilligenden Blick zu. Er sprach nur ein paar Worte Maori, aber mit Hilfe der zwei englischen Worte konnte er sich ihre Entgegnung zusammenreimen.
    »Wir sind da nicht so puristisch, Gloria«, bemerkte er seinerseits. »Ob das nun Original-Maori-Musik ist oder nicht, wen kümmert’s? Hauptsache ist, die Leute können folgen. Wir überlegen auch, zumindest Kuras Songtexte ins Englische zu übersetzen. Das wurde uns für Amerika sehr empfohlen. Die Leute da haben es nicht mit zu viel Folklore ...«
    »Aber im Programm steht doch, es sei authentisch.« Gloria wusste nicht genau, was sie störte, aber sie hatte das Gefühl, um irgendetwas betrogen zu werden, das ihr wichtig war. Vielleicht war sie einfach zu dünnhäutig. Sie hatte sich zuvor dabei ertappt, zärtlich über die Saiten der Tumutumu zu streicheln und das Holz der dickbäuchigen Flöten zu liebkosen. Es war tröstlich, diese Dinge zu spüren. Gloria musste sich manchmal vergewissern, dass es ihr Land auf der anderen Seite der Erdkugel überhaupt noch gab.
    William verdrehte die Augen. »In Programmen steht viel«, meinte er dann. »Wir haben in Paris einen Auftritt dieser Mata Hari gesehen. Sehr schön, sehr künstlerisch – aber die Frau hat doch nie einen indischen Tempel von innen gesehen, geschweige denn, dass sie dort eine Tanzausbildung erhalten hätte. Ich habe das mal genauer unter die Lupe genommen. Sie ist nicht mal Inderin, und schon gar nicht adliger Abkunft oder was immer sie behauptet. Aber das interessiert die Leute gar nicht. Hauptsache, Exotik und viel nackte Haut. Daran werden wir auch noch arbeiten, unsere Show muss attraktiver werden ...«
    »Noch mehr nackte Haut?«, fragte Gloria. Die Kostüme der Tänzerinnen waren schon jetzt ziemlich offenherzig. Ihre 
piupiu
 – hellbraune Röcke aus gehärteten Flachsblättern – endeten weit über dem Knie und zeigten die nackten Beine der Mädchen. Die ebenso knappen, gewebten Oberteile reichten allerdings nicht an die Realität heran. Maori-Frauen tanzten oft mit nacktem Oberkörper. Gloria hatte sich bei diesem Brauch nie viel gedacht; auf Kiward Station war es ihr völlig natürlich erschienen. Hier dagegen ... die Leute starrten die Tänzerinnen jetzt schon an.
    »Sei nicht so prüde, Kleines!« William lachte. »Wir denken jedenfalls an noch knappere Röckchen, während das mit der Gesichtsbemalung ...« Er warf Tamatea einen fast trotzigen Blick zu. »Das wollen wir abbauen. Jedenfalls bei den Mädchen. Die Männer sollen ja Furcht erregend wirken. Der Gruseleffekt ist fast so wichtig wie die Exotik. Gerade in Amerika ...« William setzte zu einem weiteren Vortrag darüber an, was in der Neuen Welt zu beachten war, wenn es um Show ging.
    Auf der Bühne erschien inzwischen eine Gruppe männlicher, martialisch aufgemachter Tänzer. Tatsächlich waren die Kriegs-
haka
 das einzig Authentische, das Kuras Show noch zu bieten hatte. Die Männer waren in bunten Farben bemalt, schrien Drohungen gegen den Feind und fuchtelten mit den Speeren. Es schien den Tänzern ausgesprochenen Spaß zu machen, und wie es aussah, lag das Kampfspiel nicht nur Polynesiern im Blut. Keiner der Tänzer war mehr wirklich neuseeländischer Abkunft.
    William führte noch weiter aus, was er in der nächsten Zeit zu ändern plante, aber Gloria hörte nicht allzu genau hin. Im Grunde war ihr die Arbeit ihrer Mutter ziemlich gleichgültig. Sie verspürte nur ein unbestimmtes Bedauern. Das winzige Stück Neuseeland, das sie bisher noch in den Shows gefunden hatte, war nun auch geschwunden. Auf die Dauer würde Tamatea heimkehren; es gab nichts mehr, was es zu hüten lohnte. Aber Gloria würde bleiben müssen ... Sie hasste Amerika jetzt

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