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Der Ruf des Satyrs

Der Ruf des Satyrs

Titel: Der Ruf des Satyrs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Amber
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Ausgrabungen auf dem Forum entlang der Via Sacra hatten eine zügellose Faszination für alles Mythologische ausgelöst. Die Leute waren kostümiert. Welche Ironie, dass sie sich genau als solche Wesen verkleideten, die sie und andere Übersiedler aus der Anderwelt mit so viel Mühe verborgen hielten!
    Der einzige Bacchus in der Gruppe trug einen Kranz aus Olivenzweigen, an seinem Arm eine zarte Elfe. Sie wurden begleitet von einigen Mänaden, einer Fee mit Flügeln, die im schwindenden Licht glitzerten, und Venus, der römischen Göttin der Liebe. Auch ein falscher Satyr war dabei, kostümiert mit einer dunklen Halbmaske und einem Umhang. Ein großer bunter Phallus, der alle Blicke auf sich lenken sollte, ragte von der Schamkapsel, die er trug, in die Höhe.
    Du wirst mich schon bald brauchen, zwischen deinen Schenkeln.
Fröstelnd erinnerte sie sich an die Worte des Mannes im Hain. Götter! Wie hatte er es erraten, wenn es doch in all den zweiundzwanzig Jahren ihres Lebens niemand sonst erraten hatte?
    Neben ihrem Fuß berührte ihre Hand Metall. Der Schlüssel. Als sie wieder aufstand, starrte ihr ein mürrisches Gesicht durch das gewundene Gitterwerk des Tores entgegen. Sie zuckte zusammen und legte eine Hand auf ihr Herz. »Odette! Du hast mich fast zu Tode erschreckt.«
    Die Augen der Mulattin, erstaunlich blau im Kontrast zu ihrer kaffeebraunen Haut, wurden schmal. Sie besaß ein verblüffendes Talent dafür, Evas Geheimnisse aufzuspüren, schon seit diese ein Kind gewesen war. Würde sie auch erraten, was vor kurzem in dem kleinen Olivenhain auf dem Aventin vorgefallen war?
    Doch Odette warf nur einen vielsagenden Blick auf den Mond.
    Sie versuchte, das störrische Türschloss von innen her mit den Händen aufzubekommen, und als sie sprach, verfiel sie in das für sie übliche Kauderwelsch, bestehend aus einer Mischung ihrer Anderwelt-Muttersprache und einem undefinierbaren Dialekt aus dem italienischen Bergland. »Bist spät, Mademoiselle! Ich hab Pinot geschickt, dass er dich sucht«, sagte sie und bezog sich damit auf den kleinen Kobold, der ihnen als Kutscher, Hausdiener und Zuträger von Klatsch und Tratsch diente. »Hab mir schon Sorgen gemacht, dass de da draußen bist und tot im Tiber schwimmst wie die andern.«
    »Offensichtlich nicht. Ich bin vorsichtig.« Eva rang die Hände. »Beeil dich bitte, ja?«
    Endlich bewegte sich das Tor und schwang mit einem protestierenden Quietschen auf. Das Geräusch diente ihnen als willkommene Warnung vor Besuchern, daher hatten sie die Scharniere nie geölt. Endlich konnte sie in den Garten. Während Eva hineinstürmte, spähte Odette links und rechts die Straße entlang und beäugte die Leute, die dort flanierten, bevor sie das Tor wieder schloss. Sie hatte sich noch nicht ganz daran gewöhnt, dass sie nicht mehr in dem zwielichtigen Stadtteil in der Anderwelt wohnten, sondern nun eine respektablere Adresse auf dem Kapitol hatten, dem kleinsten der sieben Hügel Roms.
    Odette warf das Tor mit einem Schlag wieder zu und kam unbeholfenen Schrittes hinter Eva her. »Wo biste gewesen?«, fragte sie misstrauisch.
    »Ich bin nach der Landkarte in
Mamans
Buch zu dem Hain gegangen.« Eva hielt gerade lange genug inne, um Odette die paar Oliven aus ihrer Tasche in die Hand zu drücken.
    »Is’ das alles, was de bekommen hast? Das reicht nich’ mal den Monat lang!«
    »Ich hatte Glück, dass ich überhaupt so viel bekommen habe! Das Land ist wieder bewohnt«, rief Eva über die Schulter zurück, während sie durch den kleinen Garten auf das Tor zuhastete.
    »Von wem?«
    »Nicht jetzt.« Eva schüttelte den Kopf und nickte dann den beiden Mädchen zu, die barfuß und mit großen Augen in der Türöffnung standen. In ihren Nachthemden aus weißem Leinen sahen sie beinahe wie Geistererscheinungen aus. Natürlich waren sie keine Geister, doch ganz menschlich waren sie auch nicht.
    »Mademoiselle! Du bist wieder da!«, rief die fünfjährige Mimi und hüpfte aufgeregt auf den Zehenspitzen herum. Neben ihr strich die achtjährige Lena nervös mit dem Ende ihres Zopfes über ihre Lippen – es sah aus, als würde sie an einem Pinsel knabbern.
    »
Vite, bebes!
Kommt mit hinein – ihr alle!«, schalt Eva liebevoll. Sie bückte sich, um die beiden flüchtig zu umarmen, und nahm Lena sanft den Zopf aus dem Mund, während sie ihr beruhigend zulächelte. Dann lief sie an den beiden vorbei ins Haus.
    Mit beiden Händen raffte sie ihre Röcke und rannte nicht eben damenhaft die Treppe

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