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Der Ruf des Satyrs

Der Ruf des Satyrs

Titel: Der Ruf des Satyrs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Amber
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hinauf. In jeder anderen Nacht hätte Odette sie dafür getadelt.
    Doch heute Nacht rief sie nur vom Fuß der Treppe hinauf: »Is’ alles, wie de willst!« Hinter ihr lugten die Mädchen an Odettes Rock vorbei, wie immer fasziniert und begierig, irgendeinen Hinweis darauf zu erhaschen, was bei diesem mysteriösen monatlichen Ereignis wohl mit Eva geschehen mochte.
    »Ab mit euch!« Odette scheuchte die Mädchen in ihr Zimmer am anderen Ende des Hauses.
    »Tut, was sie sagt!«, rief Eva. Oben an der Treppe angekommen, hastete sie den Flur entlang und stürzte in ihr Schlafzimmer.
    Sie schob die Tür mit dem Ellbogen zu und fiel halb dagegen, so dass ihr Körpergewicht die Tür ganz zuschlug. Sie warf den Kopf zurück und zerrte an ihrem Mieder. Ihr Korsett war inzwischen zu einem Folterwerkzeug geworden, das ihr die Luft in der Brust abschnürte. Mit den Fingern fuhr sie über die gehakten Verschlüsse und riss die obersten auf. Befreit aus ihrem schicklichen Gefängnis aus Seidenstoff quollen ihre Brüste aus dem tiefen v-förmigen Dekolleté. Ah, endlich Freiheit!
    Doch heute Nacht würden diese vier Wände als eine andere Art Gefängnis dienen. Eines, das die Welt draußen hielt und ihr darin Sicherheit bot. Die Türen und Wände hier waren dick, und die Fenster hatten doppelte Glasscheiben. Alles, was hier geschah, würde weder in die Welt da draußen dringen noch an die Ohren der beiden Mädchen, die zu ihrer Familie geworden waren. Als sie vor drei Monaten hierhergekommen war, hatte ein Nachbar ihr erzählt, dass hier in diesem Zimmer vor hundert Jahren eine Wahnsinnige eingesperrt gewesen wäre. Und würde sie nicht selbst bald schon irrsinnig werden? Nun ja, vermutlich hatte sie Glück, weil ihr Irrsinn nur zehn Stunden lang anhielt: von der Abenddämmerung bis zum Tagesanbruch.
    Sie öffnete die Augen und sah zu dem hohen Wandschrank gegenüber. Die kleine Tür in Augenhöhe blieb für gewöhnlich verschlossen, doch nun stand sie offen und enthüllte ein Sortiment an Kristallgefäßen, Flakons, Zylindern und anderen seltsamen Gegenständen. Sie stieß sich von der Tür ab und ging zum Wandschrank, während sie ihre Stiefel von sich schleuderte und auf einen Teppich fallen ließ, der in der Anderwelt gewoben worden war. Vor dem Schrank hielt Eva inne. Er war von Handwerkern des Feenvolkes gefertigt worden. In der Tat befand sich das ganze Haus insgeheim im Besitz des Rates der Anderwelt.
    In einem der unteren Fächer des Wandschranks stand unübersehbar eine schlanke Glasflasche, die für das ungeübte Auge so wirkte, als würde sie ganz gewöhnlichen Rotwein beinhalten. Sie stellte ein Relikt aus der Anderwelt dar. Odette hatte es irgendwo gefunden – sie wusste, wie man solche Dinge aufspüren konnte. Daneben befand sich ein Kelch, der, bereits gefüllt, auf sie wartete. Offensichtlich war Odette vor kurzem hier gewesen und hatte alles vorbereitet.
    Sie setzte den Kelch an ihre Lippen und nahm einen langen Zug. Sie fühlte, wie das blutrote Elixier langsam ihre Kehle hinabrann, und ließ schnell einen weiteren Schluck folgen. Aufkeuchend wischte sie sich mit dem Handrücken über den Mund. Dies war ein alter Trunk, eine notwendige Zutat, um das Ritual dieser Nacht zu beginnen. Ein Ritual, das nur ein Mal im Monat, bei Vollmond, stattfand.
    Eines der Pulver, die sie heute Morgen genommen hatte, diente dem Zweck, die Auswirkungen des Rufes abzumildern und sein Einsetzen hinauszuzögern. Als sie vor vier Jahren angefangen hatte, das Pulver einzunehmen, hatte ihr das ermöglicht, Nächte wie diese in relativer Ruhe hinter sich zu bringen. Doch mit jedem folgenden Vollmond war die Wirkung des Pulvers schwächer geworden. Und nun hatte eben erst die Dunkelheit eingesetzt, und sie stand bereits kurz davor, aus der Haut zu fahren.
    Glücklicherweise würde der Wein sie ruhiger werden lassen und sie auf dem unausweichlichen Weg vorantreiben, den sie heute Nacht gehen musste. Sie nahm einen dritten Schluck aus dem Kelch. Bis zum Ende der Nacht würde die ganze Flasche geleert sein. Und irgendwie würde sie einen Monat später wieder voll sein, ohne dass jemand sie erneut aufgefüllt hatte.
    Sekunden später hörte sie das sanfte Gleiten von Metall auf Metall. Schließzylinder fielen mit einem Ächzen an ihren Platz – die Tür wurde von außen verschlossen. Einen Augenblick lang herrschte abwartendes Schweigen draußen. Odette horchte auf dem Flur nach ihr.
    »Es geht mir gut«, rief Eva gedämpft. Kurz darauf

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