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Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Titel: Der Ruf des weißen Raben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanna Seven Deers
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welche Zeit sie reisen wollte. In diesem Fall hatte ihr Wille sie dorthin reisen lassen, wo sie das Leben ihrer Freunde retten konnte. Es war unglaublich!
    »Wir haben befürchtet, dass du für immer drüben bleibst«, flüsterte Meghali.
    Myra sah die junge Inderin kopfschüttelnd an. Sie lächelte wehmütig, weil sie an Erdis’ Worte denken musste. Eines Tages werden wir uns wiedersehen. Wie recht sie gehabt hatte!
    »Ich würde euch nie im Stich lassen«, sagte sie leise.
    Ein Husten riss Myra endgültig in die Gegenwart zurück. Sie blickte sich verwundert um. Chad, Meghali und Heather waren noch immer gefesselt. Myras Blick blieb an der alten Dame hängen. Sie hatte sich anscheinend erkältet und fieberte stark. Schweißtropfen standen auf ihrer Stirn, obwohl es an diesem Tag alles andere als heiß war. Ihr Atem ging stockend, und ein rasselnder Husten schüttelte ihren Körper.
    Myra musterte Meghali. Auch sie sah erschöpft aus.
    Die körperliche Verfassung ihrer Freunde und die leeren Plastikverpackungen der Lebensmittel verrieten Myra, dass Morris sich in den vergangenen vierundzwanzig Stunden den Bauch vollgeschlagen hatte und die anderen hatte hungern und frieren lassen.
    Myra musste etwas unternehmen! Doch die letzten Reisen in der Geisterwelt hatten ihre Gefühle durcheinandergewirbelt, und sie konnte sich noch immer nicht konzentrieren.
    Zuerst hatte sie ihren eigenen Tod durchleben müssen, dann hatte sie die selbstlose und spirituelle Weise erlebt, mit der die weise Runa ihren eigenen Tod zum Wohle aller Menschen fern von ihrer Familie und von allem, was sie liebte, in der Wildnis vorbereitet und vollzogen hatte.
    Der Gedanke an Runa ließ Myra Tränen in die Augen treten. Ihr wurde erst jetzt bewusst, wie sehr sie sich mit Runa und dem Talisman verbunden gefühlt hatte – und nun waren sie nicht mehr da. Runas Tod hatte eine schmerzende Leere in Myras Herz hinterlassen.
    »Setz dich dort drüben hin, Morgenstern«, knurrte Morris. Er ging ruhelos hin und her und fuchtelte dabei mit seiner Pistole herum.
    Myra befolgte seine Worte. In Gedanken war sie jedoch nicht in dem Lager auf der kleinen Anhöhe, sondern bei den Ereignissen während ihrer letzten Besuche in der Geisterwelt.
    Runa hat meine Anwesenheit gespürt, ging es ihr durch den Kopf. Die Essenz meines Selbst war bei ihr, und sie hat es gewusst … Wenn ich nur deine Fähigkeiten hätte, Runa! Ich würde Morris in die Hölle schicken und die anderen sicher nach Hause bringen! Dann fiel Myra etwas Entscheidendes ein. Runa hat zumindest einen Teil ihrer Gaben an mein älteres Ich weitergegeben. Wenn ich als mein älteres Ich diese Fähigkeiten besitze, dann müsste ich sie auch jetzt besitzen … Aber wie kann es mir gelingen, sie zu nutzen?
    Verzagt schloss sie die Augen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Sie versuchte sich auf Morris zu konzentrieren, darauf, dass er sich von seiner Pistole löste.
    Nichts passierte. Morris schritt noch immer grübelnd auf und ab, die Pistole fest in der Hand.
    Wie, Runa, wie?, flehte Myra verzweifelt.
    »Komm hierher!« Morris’ kalte Stimme durchschnitt die Stille.
    Myra, noch immer in Gedanken versunken, folgte seinem Befehl.
    »Nimm die Schaufel und fang an zu graben«, befahl er. »Wir brauchen ein Loch, ungefähr einen Meter achtzig mal achtzig Zentimeter und gut zwei Meter tief.«
    Myra starrte ihn finster an. Die Idee kam ihr auf makabre Weise bekannt vor.
    »Ich soll ein Grab schaufeln«, sagte sie tonlos.
    Morris grinste.
    »Nun, es muss keins werden«, erwiderte er höhnisch. »Du hast die Möglichkeit, mir zu sagen, wie ich in die Geisterwelt gelangen kann, bevor das Loch fertig ist. Ziehst du es vor, dein Geheimnis für dich zu behalten … Nun, du hast es selbst gesagt: Dann werden weder du noch deine Freunde diesen Ort je verlassen.«
    Myra rührte sich nicht, sondern blickte starr in die Ferne.
    »Fang an zu graben!«, schrie Morris wütend. Mit einem Satz war er bei Chad und drückte die Pistole brutal unter dessen Kinn.
    Chad verzog keine Miene. Der Anblick jedoch ließ Myra zusammenzucken. Ihre Stimme überschlug sich fast, als sie Morris antwortete.
    »Lass ihn in Ruhe! Ich kann dir nicht sagen, wie ich in die Geisterwelt reise. Ich weiß es selbst nicht genau! Es passiert einfach.«
    »Netter Versuch«, gab Morris zurück. »Aber ich muss schon etwas Besseres zu hören bekommen, bevor ich meine Absicht ändere.«
    Myra wechselte einen kurzen Blick mit Chad. Dieser

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