Der Samurai von Savannah
gerade jetzt versuche ich, an etwas ganz anderes zu denken. Das musst du erst beweisen, sagte sie und ließ den Rock zu Boden fallen.
Aber jetzt war sie für eine Woche in Savannah, Gast in der schicken, hellen, großzügigen Villa von Dave und Rikki Fortunoff, einer Villa, die schon in Architectural Digest und im New York Times Magazine abgebildet worden war. Dave war ein alter Freund ihres Vaters aus den Zeiten des Jurastudiums, und er hatte sie oft in Los Angeles besucht, wenn ihn seine Geschäft dorthin führten – Ruth kannte ihn schon seit ihrer Kindheit. Trotzdem hatte sie eigentlich nicht bei den Fortunoffs wohnen wollen – es waren dreißig Minuten mit dem Taxi bis zum Krankenhaus, in dem Hiro unter starker Bewachung langsam wieder zu Kräften kam und sich weigerte, mit der Presse, der Polizei oder seinem fleckengesichtigen Peiniger vom INS zu sprechen –, doch die Vorteile dieser Lösung lagen auf der Hand: Es kostete sie nichts. Im Hotel hätte sie mindestens sechzig oder achtzig Dollar pro Nacht gezahlt, dazu die Mahlzeiten, und so viel Geld hatte sie einfach nicht. Noch nicht.
Sie betrachtete sich lange Zeit im Spiegel und beschloss, ihrem Haar noch eine Glanzspülung zu gönnen, ehe sie zum Krankenhaus aufbrach. Das würde ihre Bräune gut zur Geltung bringen – und das neue Kostüm auch. Draußen im Garten, vor den Glastüren, lag die grelle Leere des Pools und dahinter der buschige Oleander und Töpfe mit Begonien, die sich im Wasser spiegelten. Sie wünschte, Saxby wäre auch da, aber der erwartete ihre Rückkehr zu Hause auf Thanatopsis, wo seine Aquarien und Eimer geradezu überquollen von bleichen kleinen Fischen, die in Größe und Farbe an Radiergummis erinnerten. Als sie nach Savannah aufgebrochen war, hatte er mit einem gelben Bauhelm auf dem Kopf das Ausbaggern des Teichs beaufsichtigt, der zukünftigen Heimstatt seiner Zwergbarsche und ihrer glücklichen Nachkommen. Er hatte ihr mit verzückter Miene nachgewinkt, als sie den Kiesweg entlanggefahren war.
Ruth warf die Preisschildchen in den Papierkorb und ging durch das Zimmer, um den Mantel in den Schrank zu hängen. Der Mantel war ziegelrot – nicht neonrot, nicht flammendrot, nicht hallo-kennen-wir-uns-schon-rot, sondern ein verhaltenerer, dramatischerer Ton. Ein reiferer Ton. Im Laufe der letzten Woche hatte sich in Ruth ein Wandel vollzogen, ein Wandel, der sie nach der weniger schrillen Farbe greifen ließ, ein Wandel, der sie nach Savannah gebracht und sich tausendfünfhundert Dollar von ihrem Vater hatte leihen lassen, für drei neue Kleider, zwei Handtaschen, ein Paar schillernder (aber reifer) schwarzer Schlangenlederpumps und den italienischen Mantel. Geschehen war Folgendes: Sie war jetzt Journalistin. Mit einem Auftrag. Wohl würde die Belletristik immer ihre erste Liebe und ihr wahres Metier bleiben, und sie hoffte auch, eines Tages wieder zu ihr zurückzukehren – recht bald hoffentlich –, aber man hatte ihr ein Angebot gemacht, das sie unmöglich ausschlagen konnte.
Angefangen hatte das Ganze mit Hiro. An jenem grausamen Morgen, als sie in die Dienste des INS gepresst worden war, am Morgen nach dem allerschlimmsten Abend ihres Lebens. Nichts hätte sie an diesem Abend aufheitern können. Ihre Lesung war eine grausige Katastrophe gewesen, für alle Zeiten eine lächerliche Reminiszenz in den Annalen von Thanatopsis House, und Jane Shine hatte sie mit der Endgültigkeit einer Totengräberin niedergemacht. Sandy hatte sein Bestes getan, sie auf andere Gedanken zu bringen, und Irving war besonders bemüht um sie gewesen, aber sie fühlte sich, als wäre die Welt rings um sie zu Asche verbrannt. Schlimmer noch, ihr standen jetzt noch Saxbys Zorn, Septimas Unversöhnlichkeit und die Verachtung namenloser Sheriffs, des gescheckten Abercorn und seines widerlichen kleinen Faktotums bevor. Nach einem einzigen Drink ging sie zu Bett, die anderen Künstler sahen ihr mit leichenbitteren Blicken nach, und sie zog die Dunkelheit fest über sich und fiel in den Schlaf wie in ein bodenloses Loch.
Am Morgen der Sumpf. Und Saxby. Er war wütend, verwirrt, grimmig, in seinen Augen blitzten Vorwürfe und Verletztheit. Sie traf ihn vor dem Tender Sproats Motel und warf sich in seine Arme wie eine Soldatenbraut, vor den Augen von Owen und einem spitzbäuchigen kleinen braunen Kerlchen mit Schiebermütze. Sie hatten einen knappen Zeitplan, die Polizei wartete auf sie, weit draußen darbten die Zwergfische in ihren Eimern, trotzdem
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