Der Sand der Zeit
Zwi-schenzeit einen starken Kaffee kochen.«
»Eine ausgezeichnete Idee, Jake«, sagte eine Stimme hinter uns. Ich zuckte zusammen und drehte mich erschrocken um.
Auf der obersten Stufe der breiten Marmortreppe, die zum oberen Stockwerk des Hauses emporführte, war ein klein-wüchsiger, vielleicht fünfzigjähriger Mann erschienen, der mit einer Mischung aus Überraschung und leichtem Argwohn zu uns herunterblickte. Er wirkte nicht direkt unfreundlich, aber angespannt, so, als wäre er ein paarmal zu oft enttäuscht worden, um noch irgend jemandem zu trauen.
Aber nur für einen Augenblick, dann hellte sich sein Gesicht auf, und ein dünnes, aber durchaus ehrliches Lächeln huschte über seine Züge.
»Sie müssen Mr. Raven sein«, sagte er überflüssigerweise und begann, mit kleinen trippelnden Schritten die Treppe herunterzulaufen. »Sie sind früh dran. Jake muß gefahren sein wie der Teufel.«
»Craven«, korrigierte ich ihn automatisch und ging ihm entgegen. »Robert Craven. Und Sie sind Professor Havilland, nehme ich an.«
Meine Bemerkung war ebenso sinnlos wie seine, aber irgendwie brachen die Worte das Eis zwischen uns endgültig.
Havilland eilte mir entgegen, ergriff meine ausgestreckte Hand und drückte sie mit einer Kraft, die mich bei einem Mann seiner Statur erstaunte. Dabei musterten mich seine schmalen, in ein Netz feiner Lachfältchen eingebetteten Augen erneut so aufmerksam wie vorhin, als er oben auf der Treppe gestanden hatte, doch jetzt ohne die geringste Spur von Mißtrauen. Ich kam mir fast ein bißchen schäbig vor bei dem Gedanken, daß ich mich praktisch bei ihm eingeschlichen hatte, und hoffte, daß er es mir nicht zu übelnahm, wenn ich ihm die Wahrheit gestand.
»Aber kommen Sie doch erst einmal ganz herein«, sagte er.
»Ich kann mir vorstellen, daß Sie schon ganz begierig darauf sind, meine Fundstücke kennenzulernen.«
Das war ich ganz und gar nicht. Das einzige, was ich unbedingt kennenlernen wollte, war Havillands Gästezimmer und das Bett darin, aber er gab mir keine Chance, irgendwelche Einwände vorzubringen. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er an mir vorbei, trat an eine der Glasvitrinen und machte eine einladende Handbewegung. Ich unterdrückte ein Seufzen. Im Augenblick stand mir wirklich nicht der Sinn nach Kultur, sondern eher nach einem heißen Bad und einer Tasse Kaffee, aber wir waren so lange unterwegs gewesen, daß es auf ein paar Minuten mehr oder weniger wahrscheinlich auch nicht mehr ankam. Außerdem wollte ich Havilland nicht gleich im allerersten Moment verprellen. Das kam schon noch früh genug. Also setzte ich mich gehorsam in Bewegung.
Während Jake Becker ging, um den versprochenen Kaffee aufzubrühen, trat ich widerwillig an Havillands Seite und blickte, mehr aus Höflichkeit als aus wirklichem Interesse,
in den Schaukasten.
Im ersten Moment konnte ich kaum erkennen, was ich vor mir hatte. Hinter dem spiegelfreien Glas reihten sich unförmige, dunkle Klumpen, unter deren verkrusteter Oberfläche nur hier und da Metall aufblitzte. Ich warf Havilland einen fragenden Blick zu.
»Ein Dolch!« sagte er stolz und wies mit der Hand auf eines der Ausstellungsstücke. »Aber nicht irgendein Dolch, müssen Sie wissen. Ich habe ihn selbst ausgegraben, nicht einmal hundert Meter vom Haus entfernt.« Seine Stimme nahm bei diesen Worten einen Klang an, als wäre dies allein schon eine kleine Sensation, und wahrscheinlich war es das auch,, und ich tat ihm den Gefallen, mich vorzubeugen und mit zusammengekniffenen Augen die Schriftzüge auf dem winzigen Papierschildchen neben einem anderen Fundstück zu entziffern.
»Ein nordisches Griffzungenschwert«, erklärte Havilland nach einigen Sekunden, und ich nickte. Interessant, was immer das sein mochte. Zweifelnd blickte ich auf den verkrusteten, unförmigen Klumpen und wandte mich schließlich achselzuckend ab. Nun ja, ich hatte mich zwar nie sonderlich für Geschichte, schon gar nicht für nordische, interessiert, aber daß ich hier eine ganz erstaunliche Ansammlung von Gerätschaften und Waffen aus der Wikin-gerzeit vor mir hatte, begriff sogar ich.
Havilland war mit Sicherheit enttäuscht über meine laue Reaktion, aber er schob mein offenkundiges Desinteresse wahrscheinlich auf meine Müdigkeit und war höflich genug, sich nichts anmerken zu lassen. Ich nahm mir vor, ihm gleich am nächsten Morgen die Wahrheit zu sagen.
Und dann, schlagartig, war ich hellwach, alarmiert, meine Nerven zum Zerreißen
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