Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
faltige Haut schlaff herab.
Der Oberarzt öffnet wieder die Luke. Jurek Walter legt die letzten Meter zurück und streckt einen sehnigen Arm mit hunderten von Pigmentflecken hindurch.
Anders Rönn reinigt den Oberarm mit Alkohol. Roland Brolin drückt die Spritze in den weichen Muskel und injiziert die Flüssigkeit viel zu schnell. Jurek Walters Hand zuckt vor Überraschung leicht zusammen, aber er zieht den Arm trotzdem erst zurück, als er die Erlaubnis dazu erhält. Der Oberarzt schließt und verriegelt hastig die Luke, nimmt die Ohrstöpsel heraus und schaut in den Raum hinter dem Panzerglas.
Jurek Walter geht mit stolpernden Schritten zum Bett, bleibt stehen und setzt sich dann.
Plötzlich schaut er zur Tür, und Roland Brolin lässt die Spritze fallen.
Er versucht noch, sie aufzufangen, aber da rollt sie schon über den Beton. Anders Rönn macht einen Schritt und hebt die Spritze auf, und als sie sich beide wieder aufrichten und dem Isolierzimmer zuwenden, sehen sie, dass die Innenseite des Panzerglases beschlagen ist. Jurek Walter hat die Fensterscheibe angehaucht und mit dem Finger »JOONA« darauf geschrieben.
»Was steht da?«, fragt Anders Rönn mit schwacher Stimme.
»Er hat Joona geschrieben.«
»Joona?«
»Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«
Die Kondensschicht verschwindet, und sie sehen, dass Jurek Walter dasitzt, als hätte er sich nie wegbewegt. Er betrachtet den Arm, in den das Medikament injiziert wurde, massiert den Muskel und sieht die beiden Ärzte durch die Scheibe an.
»Sonst stand da nichts?«, fragt Anders Rönn.
»Ich habe nur gesehen …«
Durch die dicke Tür dringt ein tierisches Brüllen zu ihnen hinaus. Jurek Walter ist vom Bett heruntergerutscht, kniet und schreit. Die Sehnen an seinem Hals sind gespannt, die Adern geschwollen.
»Wie viel haben Sie ihm eigentlich gegeben?«, fragt Anders Rönn.
Jurek Walters Augen rollen nach oben und werden weiß, er stützt sich mit der Hand ab, streckt ein Bein aus, kippt jedoch jäh nach hinten, schlägt mit dem Kopf gegen den Nachttisch, schreit, und sein ganzer Körper beginnt, krampfhaft zu zucken.
»Oh verdammt«, flüstert Anders Rönn.
Jurek Walter rutscht auf den Boden, tritt unkontrolliert mit den Beinen, beißt sich in die Zunge, schnaubt Blut auf seine Brust und liegt anschließend keuchend auf dem Rücken.
»Was machen wir, wenn er stirbt?«
»Ihn verbrennen«, antwortet Brolin.
Jurek Walter wird von neuen Krämpfen geschüttelt, und seine Hände schlagen in alle Richtungen, bis sie zur Ruhe kommen.
Brolin schaut auf die Uhr. Schweiß läuft ihm über die Wangen.
Jurek Walter wimmert, dreht sich auf die Seite und versucht aufzustehen, aber seine Kräfte versagen.
»In ein paar Minuten können Sie hineingehen«, erklärt der Oberarzt.
»Ich soll wirklich da reingehen?«
»Er ist bald außer Gefecht.«
Jurek Walter kriecht auf allen vieren, und mit Speichel vermischtes Blut läuft ihm aus dem Mund. Er wankt und kriecht langsamer, bis er schließlich zu Boden sinkt und regungslos liegen bleibt.
3
Anders Rönn schaut durch die dicke Glasscheibe in der Tür. In den letzten zehn Minuten hat Jurek Walter sich nicht mehr gerührt. Sein Körper ist nach den Krämpfen erschlafft.
Der Oberarzt zieht den Schlüssel aus der Tasche, steckt ihn ins Schloss, zögert, schaut durchs Fenster und schließt auf.
»Viel Spaß«, sagt er.
»Was tun wir, wenn er aufwacht?«, fragt Anders Rönn.
»Er darf nicht aufwachen.«
Brolin öffnet, und Anders Rönn geht hinein. Die Tür wird hinter ihm zugemacht, und das Schloss rasselt. Im Isolierzimmer riecht es nach Schweiß, aber auch noch nach etwas anderem. Es ist der säuerliche Geruch von Essigessenz. Jurek Walter liegt vollkommen still, aber sein Rücken hebt und senkt sich in langsamen Atemzügen.
Obwohl er weiß, dass der Mann tief schläft, hält Anders Rönn Distanz zu ihm.
Es herrscht eine eigentümliche, aufdringliche Akustik in dem Raum, als folgten die Laute ein wenig zu schnell auf die Bewegungen.
Der Arztkittel raschelt bei jedem Schritt.
Jurek Walter atmet schneller.
Am Waschbecken tropft der Wasserhahn.
Anders Rönn erreicht das Bett, wendet den Blick Jurek Walter zu und lässt sich dann auf die Knie fallen.
Als er sich bückt und unter das festgeschraubte Bett zu schauen versucht, sieht er aus den Augenwinkeln kurz den Oberarzt, der ihn mit ängstlichen Augen durch die Panzerglasscheibe beobachtet.
Auf dem Fußboden liegt nichts.
Er reckt den Kopf noch
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