Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
Krankenhauses.
Als er kam, war der Platz voller Autos, inzwischen ist er fast leer.
Er blinzelt und sieht, dass hinter seinem Wagen jemand steht.
»Hallo!«, ruft Anders Rönn und geht schneller.
Ein Mann dreht sich um, streicht sich mit der Hand über den Mund und weicht vom Auto zurück. Es ist Oberarzt Roland Brolin.
Anders Rönn geht die letzten Meter langsamer und zieht den Autoschlüssel aus der Tasche.
»Sie erwarten sicher eine Entschuldigung«, sagt Brolin mit einem bemühten Lächeln.
»Ich möchte nur ungern mit der Krankenhausleitung darüber sprechen müssen, was heute passiert ist«, erwidert Anders.
Brolin sieht ihm in die Augen, streckt die linke Hand aus und öffnet sie.
»Geben Sie mir den Brief«, sagt er ruhig.
»Welchen Brief?«
»Den Brief, von dem Jurek Walter wollte, dass Sie ihn finden«, antwortet der Oberarzt. »Einen Zettel, ein Stück Zeitungspapier, eine Ecke Karton.«
»Ich habe wie besprochen das Messer geholt.«
»Das war der Köder«, entgegnet Brolin. »Sie glauben doch nicht, dass er sich grundlos diesen Schmerzen aussetzt?«
Anders Rönn sieht den Oberarzt an, der sich mit der Hand Schweiß von der Oberlippe wischt.
»Was tun wir, wenn der Patient einen Anwalt sprechen möchte?«, fragt er.
»Nichts«, flüstert Brolin.
»Hat er Sie schon einmal darum gebeten?«
»Ich weiß nicht, ich hätte es ohnehin nicht gehört, da ich grundsätzlich Ohrstöpsel trage«, antwortet Brolin lächelnd.
»Aber ich kapiere ehrlich gesagt nicht, warum …«
»Sie brauchen diesen Job«, unterbricht der Oberarzt ihn. »Ich habe gehört, dass Sie in Ihrem Jahrgang die schlechtesten Noten hatten, Sie müssen sicher hohe Kredite abtragen, haben keinerlei Erfahrung, keine Referenzen.«
»Sind Sie fertig?«
»Sie sollten mir jetzt einfach den Brief geben«, antwortet Brolin und beißt die Zähne zusammen.
»Ich habe keinen Brief gefunden.«
Brolin sieht ihm eine Weile in die Augen.
»Sollten Sie irgendwann einmal einen Brief finden«, sagt er, »müssen Sie ihn mir geben, ohne ihn zu lesen.«
»Verstehe«, sagt Anders Rönn und schließt den Wagen auf.
Als er sich hineinsetzt, die Tür zuschlägt und das Auto anlässt, hat er das Gefühl, dass der Oberarzt ein wenig erleichtert aussieht. Er ignoriert Brolin, der ans Fenster klopft, legt einfach nur den Gang ein und fährt los. Im Rückspiegel sieht er den Oberarzt, der stehen bleibt und dem Wagen hinterherstarrt, ohne zu lächeln.
6
Als Anders Rönn nach Hause kommt, zieht er rasch die Tür hinter sich zu, schließt ab und legt die Sicherheitskette vor.
Sein Herz pocht schnell – aus irgendeinem Grund ist er vom Auto bis zum Haus gerannt.
Aus Agnes’ Zimmer dringt Petras ruhige Stimme an sein Ohr. Anders lächelt. Sie liest ihrer Tochter schon aus Ferien auf Saltkrokan vor. Normalerweise sind die Schlafrituale um diese Zeit noch längst nicht bis zur Gutenachtgeschichte fortgeschritten. Es muss wieder ein guter Tag gewesen sein. Weil er die neue Stelle hat, konnte Petra ihre Arbeitszeit reduzieren.
Auf dem Fußboden im Flur hat sich rund um Agnes’ lehmverschmierte Winterstiefel ein nasser Fleck gebildet. Mütze und Wollkragen liegen vor der Kommode auf dem Boden. Anders geht in die Küche, stellt die Sektflasche auf den Tisch, bleibt stehen und schaut in den dunklen Garten hinaus.
Er denkt an Jurek Walters Brief und weiß nicht, was er tun soll.
Die Zweige des großen Fliederstrauchs scharren über das Fenster. Er betrachtet das schwarze Glas, sieht das Spiegelbild seiner Küche, hört, wie die Zweige knarren, und überlegt, dass er die große Gartenschere aus der Abstellkammer holen sollte.
»Warte, warte«, hört er Petra sagen. »Ich lese erst noch zu Ende …«
Anders geht leise zum Kinderzimmer. Die Prinzessinnenlampe an der Decke leuchtet. Petra schaut vom Buch auf und begegnet seinem Blick. Sie hat ihre hellbraunen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden und trägt wie üblich ihre Herzohrringe. Agnes sitzt auf ihrem Schoß und wiederholt, dass es wieder falsch gewesen sei und dass sie noch einmal mit dem Hund anfangen müssten.
Anders betritt den Raum und lässt sich vor ihnen auf die Knie fallen.
»Hallo, mein kleiner Liebling«, sagt er.
Agnes begegnet flüchtig seinem Blick und schaut dann weg. Er streicht behutsam über ihren Kopf, steckt ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und steht auf.
»Es ist noch etwas zu essen da, das kannst du dir warmmachen«, sagt Petra. »Ich muss erst das
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