Der Sandner und die Ringgeister
Aktenpackerl. »Ich kenn doch meinen Sandner. Wir haben gleich die Tochter befragt. Die Leichenschmauserer sind alle notiert. Übrigens ein Studiendirektor a. D., der Erdlinger.«
Mit dem Reden kommst du manchmal bis zum Ende einer dunklen Sackgasse. Falsch abgebogen und vor der Wand. Beim Wörterverhau ist jedes Navi für die Katz. Anschaulich demonstriert das beispielsweise ein politisches Palaver, alternativ Paargespräch übers Gfrett mit den Schwiegereltern. Strebt man nach Erkenntnissen, darf es gar ein nagelneuer Horizont sein, sollte man stattdessen eine Pizza essen gehen oder, falls intellektuell versaut, Sushi. Hinterher ist von der Stubenmusi bis zum Death Metal, von der Krippenausstellung bis zur koitalen Live Performance programmatisch, je nach Gusto, alles im Packerl. Striegelt den Bauch und macht den Geist geschmeidig.
Für den Sandner wird hypothetisches Geeier rund um traurige Faktenbrösel allerweil zum Brummkreisel. Begreifen kommt vom Greifen – beriechen, begaffen und erschmecken muss er die Geschichten. Ein Vernehmungsprotokoll ist staubtrocken Brot, die belauschte Stimme gibt den Schinken dazu.
Er wirft den Kaffeebecher in den Müll und winkt der Wiesner. Verabredet ist er mit der Frau Giese, Leiterin vom Josephusheim in der Karl-Valentin-Straße, letzter Wohnort von Dennis Weiß in München.
Das Gebäude ist ein schlichter Klotz aus den Sechzigern. Quadratische, kleine Fenster, rauhverputzte Wände. Diese typische braun-gelbe Fassadenfarbe, bei deren Anblick jedermann den Farbmischer ob seines gravierenden Augenleidens bedauert. Unauffällig duckt sich das Haus zwischen seine Nachbarn, als täte es sich schämen oder verstecken müssen. Nicht weit hergeholt. Das findest du ab und an, dass kreuzbrave Anwohner sich grantelnd zusammenrotten, wie Sauen im Maisfeld, weil’s in ihrem Gau Befremdliches erschnuppern.Eine Schand für alle Sinne und selbstredend eine Watschn für den Wohnwert. Warum nicht im Salzstock einlagern oder in entseelte Winkel verschicken, das Gschwerl. Bedrohungspotenzial für die Beschaulichkeit.
Der Sandner lässt die Wiesner etwas vorausgehen, schaut sich in der Straße um. Weiter vorn eine Grundschule und ein klassisches Café, dazwischen postierte Einfamilienhäuser aus der Nachkriegszeit.
Am hüfthohen Holztor, Zugang zum heilpädagogischen Heim, wartet die Polizistin auf ihn.
Es ist offen. Ein kleines Mäuerchen umrahmt das knapp bemessene Rasenstückchen. Zwei Nussbäume, eine Kastanie und drei rostige Fahrradständer.
Sie schlendern über die Rasenfläche.
Einige Köpfe kann der Sandner ausmachen, hinter den spiegelnden Scheiben.
Wie sie das Haus betreten, werden sie gleich in Empfang genommen. Ein junges Madl kommt ihnen entgegen. Pausbäckig und umtriebig, samt resolutem Schritt. Ein blonder Pferdeschwanz gibt wedelnd das Metronom. Erzieherin wäre sie, in Gruppe zwei, aber den Dennis Weiß hätte sie nicht gekannt, auch nicht seine Band. Dass einer gestorben ist, der hier gewohnt hat, wäre trotzdem arg traurig.
Im Gang riecht es nach Patschuli, Vanillewässerchen, Bodenreiniger und durchgeschwitztem Polyestergwand. Die amtliche Schulhausmischung. Man könnte den Geruch in Flakons abfüllen, Marke alte Erinnerung.
Zwei Jugendliche lungern herum, Ohrstöpsel, Röhrenhosen, die Augen gebannt auf ihre Handydisplays.
Ein helles Zimmer im Erdgeschoss, dominiert von einem klotzigen, eichenen Schreibtisch, erwartet die Ermittler. Überbleibsel klösterlicher Herrlichkeit, vermutet der Sandner. Holzpolitur und Bienenwachs bekommt er in die Nase.
An den strahlend weißen Wänden ein Kruzifix, ein vollgekritzelter Landschaftskalender und gerahmte Kinderzeichnungen. Gekleckste Menschfiguren, die für den Polizisten wie Heuschreckenmutanten aussehen. Dazu schiefe Häuschen und Blumen in abstrakten Varianten, beschienen von der Viertelsonne.
Ihnen gegenüber sitzt Frau Giese, die Leiterin. Herbe, alterslose Ausstrahlung. Knöchrige Figur, hervorstehende Nase, das kurz geschnittene, schwarze Haar grau durchwirkt. Alles an ihr erscheint zu groß, steht eckig hervor, als wäre sie mit dem Meißel aus einem Holzklotz herausgetrieben worden. Die Konturen harrten noch der Feinarbeit durch den Ammergauer Schnitzer.
»Das ist ein großer Schock für uns, Herr ...«
Der Polizist lässt sich Zeit, bevor er ihren Satz ergänzt.
»Hauptkommissar Sandner, Kommissarin Wiesner.«
»Ja – der Dennis war fünf Jahre bei uns, bis siebzehn, ich habe gerade noch einmal
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