Der Sarg: Psychothriller
etwas nachrief.
Ihre Wohnung lag im achten Stock, am Ende eines engen Flurs mit kahlen Betonwänden. Das Tageslicht, das durch das winzige Fenster neben dem Aufzug hereinfiel, reichte nicht bis zu ihrer Tür, und die Neonröhre an der Decke war eigentlich immer kaputt. Wenn der versoffene Hausmeister tatsächlich mal eine neue einsetzte, dauerte es meist nur Stunden, bis irgendein Idiot sie wieder kaputttrat. Auch als Britta jetzt den mit Schmierereien übersäten Aufzug verließ, funktionierte die Lampe nicht, so dass sie auf den letzten Metern bis zu ihrer Tür so gut wie nichts mehr sah und sich das Türschloss ertasten musste.
Im Inneren ihrer Fünfzig-Quadratmeter-Wohnung zog sie die Jacke aus, schmiss sie achtlos auf das alte Sideboard, das einen großen Teil des winzigen Flurs einnahm, und ging ins Bad. Dort warf sie einen Blick in den ovalen Spiegel, der an manchen Stellen an den Rändern blind war. Das abgespannte Gesicht, das sie anglotzte, sah nicht aus, als gehöre es einer Frau Anfang dreißig, sondern eher wie das einer mindestens Vierzigjährigen. Die schulterlangen roten Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht, Augen und Mund waren stark geschminkt, auf den Wangen lag eine dicke Schicht Rouge. Sie hatte keine Lust mehr auf diese Fratze, wandte sich ab und ging in die Küche. Die meisten der wenigen wild durcheinandergewürfelten Schränke und Elektrogeräte hatten ihr ein paar Typen aus der Nachbarschaft besorgt, als sie vor einem halben Jahr mal wieder umgezogen und hierher gekommen war. Kerle wie Jacko. Sie hatten ihr gute Preise gemacht, und es war ihr egal gewesen, woher sie die Sachen hatten. Genauso wie es diesen Leuten egal war, wo Britta herkam, was sie machte, wer sie war. Ihr war ihr Leben sowieso egal.
Sie öffnete den Kühlschrank und nahm die halbvolle Colaflasche heraus, die neben drei verrunzelten Äpfeln, einem Glas mit ein paar eingelegten Gurken in trüber Flüssigkeit und einer flachen Pizzaschachtel voller Fettflecke den gesamten Inhalt darstellte. Die Cola schmeckte schal, obwohl sie kühl gestanden hatte.
Britta nahm die Flasche mit und blieb am Durchgang zum Wohnzimmer stehen. Die Einrichtung des Raums bestand aus einem zweiteiligen vergammelten Eichenschrank, an dem eine Tür fehlte, einem schäbigen Tisch mit zwei Campingklappstühlen und einem Holzstuhl sowie einem zerschlissenen, braunen Cordzweisitzer direkt vor dem Fenster. »Pissbude«, zischte Britta, durchquerte den Raum und ließ sich schnaufend auf den Zweisitzer fallen. Das Fenster vor ihr reichte bis zum Boden, Gardinen gab es keine, so dass sie von dort die Felder sehen konnte, die sich entlang der Brühler Landstraße in Richtung Kölner Stadtzentrum erstreckten. Im Sommer hatte sie oft dagesessen und dabei zugesehen, wie der Wind die Gräser und Ähren hin und her gebogen hatte. Jetzt war alles kahl. Braune, leblose Flächen, soweit das Auge reichte, durchsetzt von schlammigen Pfützen.
Britta wandte den Blick ab, stand wieder auf und ging zu dem kleinen Fernseher auf einem der Eichenschränke. Sie nahm den schmutzigen Bleistiftstummel, der daneben lag, und schaltete das Gerät damit ein, indem sie das stumpfe Ende in das Loch unter der Mattscheibe drückte, wo mal ein Einschaltknopf gewesen war. Eine Weile war nur ein Knistern zu hören, dann eine weinerliche weibliche Stimme. Sekunden später kam das passende Bild dazu. Britta wusste auf den ersten Blick, welche Sendung gerade lief, sie hatte es schon gewusst, bevor das Bild da gewesen war. Eine tägliche Gerichtsshow, in der ein paar Amateure in Gerichtssälen irgendwelche hirnrissigen Dialoge vor sich hin stammelten. Sie ließ die Sendung trotzdem laufen und ging zurück zum Sofa. Nach wenigen Minuten war die Show zu Ende, und es folgten Nachrichten. Britta fluchte und suchte nach der Fernbedienung, sie hatte keine Lust auf das Elend in der Welt.
Sie hatte sie gerade gefunden, eingeklemmt in der Ritze zwischen dem zerschlissenen Cordsitzkissen und der Rückenlehne, als eine Meldung sie stocken ließ: »… ist heute Vormittag in einem Waldstück bei Köln die Leiche einer Frau gefunden worden. Wie ein Polizeisprecher mitteilte, lag sie in einem vergrabenen Sarg. Es deute einiges darauf hin, dass die Frau lebendig begraben wurde. Für nähere Einzelheiten zu der Todesursache müsse aber das Ergebnis der Obduktion abgewartet werden. Wie die Polizei weiter mitteilte, sei am frühen Vormittag im Polizeipräsidium eine Nachricht abgegeben worden mit einer
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