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Der Schatten aus der Zeit

Der Schatten aus der Zeit

Titel: Der Schatten aus der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard P. Lovecraft
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echten Wert als psychologisches Dokument haben. Die Traumgesichte hatten noch immer den beunruhigenden Charakter von Erinnerungen, aber ich setzte mich mit beträchtlichem Erfolg gegen diese Anwandlungen zur Wehr.

    Bei meinen Aufzeichnungen behandelte ich die Phantasmata wie Dinge, die ich wirklich gesehen hatte; aber ansonsten schob ich sie stets als nichtssagende Nachtgesichte verächtlich beiseite. Ich hatte diese Dinge nie in Gesprächen mit anderen Leuten erwähnt, aber irgendwie sickerte doch etwas durch, und verschiedene Gerüchte über meinen Geisteszustand machten die Runde. Recht amüsant war, daß diese Gerüchte nur unter Laien kursierten und kein einziger Arzt oder Psychologe sie ernst nahm.

    Von meinen Visionen nach 1914 will ich hier nur wenige erwähnen, da dem ernsthaft Interessierten vollständigere Berichte und Unterlagen zur Verfügung stehen. Es war offensichtlich, daß die seltsamen Hemmungen ein wenig nachließen, denn der Umfang meiner Visionen vergrößerte sich gewaltig. Sie waren jedoch nie mehr als zusammenhanglose Fragmente, scheinbar ohne klare Motivation.

    In den Träumen schien ich nach und nach eine größere Bewegungsfreiheit zu erlangen. Ich glitt durch seltsame, steinerne Bauwerke, wobei ich durch gewaltige unterirdische Gänge, welche die normalen Verbindungswege darzustellen schienen, aus dem einen in das andere gelangte. Manchmal stieß ich auf jene gigantischen verschlossenen Falltüren auf der untersten Ebene, denen diese Aura des Furchterregenden und Verbotenen anhaftete.

    Ich sah gewaltige, mit Mosaiken ausgelegte Teiche sowie Räume mit sonderbaren, unerklärlichen Geräten in unendlich vielen verschiedenen Formen. Dann waren da auch kolossale Gewölbe mit komplizierten Maschinen, deren Bau und Verwendungszweck mir völlig unbegreiflich waren und deren Geräusche erst in viel späteren Träumen hörbar wurden. Ich möchte hier bemerken, daß Sehen und Hören die einzigen Sinne sind, über die ich je in dieser visionären Welt verfügt habe.

    Das wirkliche Grauen kam im Mai 1915, als ich zum ersten Mal die lebenden Wesen sah. Das geschah noch, bevor meine Nachforschungen mich gelehrt hatten, was mich aufgrund der Mythen und der Fallgeschichten erwartete. Als die psychischen Hemmungen sich allmählich verloren, sah ich große Schwaden feinen Nebels in den verschiedenen Teilen des Gebäudes und in den Straßen unter mir.

    Diese Nebelschwaden wurden zusehends konkreter und deutlicher, bis ich schließlich mit beunruhigender Leichtigkeit ihre ungeheuerlichen Umrisse wahrnehmen konnte. Sie sahen aus wie riesige, glitzernde Kegel, etwa zehn Fuß hoch und an der Basis zehn Fuß im Durchmesser, aus einer zerfurchten, schuppigen, halbelastischen Masse. Aus ihren Spitzen wuchsen vier flexible, zylindrische Glieder, jedes etwa einen Fuß stark, aus einer zerfurchten Substanz ähnlich der, aus welcher die Kegel selbst bestanden.

    Diese Glieder wurden manchmal fast ganz eingezogen, und manchmal dehnten sie sich bis zu einer Länge von ungefähr zehn Fuß. Zwei davon liefen in riesige Klauen oder Scheren aus. Am Ende des dritten befanden sich vier rote, trompetenartige Anhängsel. Das vierte trug an seinem Ende eine unregelmäßig geformte, gelbliche Kugel von etwa zwei Fuß Durchmesser, auf der sich, ringförmig entlang der zentralen Umfangslinie angeordnet, drei große, dunkle Augen befanden.

    Auf diesem Kopf wuchsen vier schlanke, graue Stengel mit blumenartigen Anhängseln, während von der Unterseite des Kopfes acht grünliche Fühler oder Tentakeln herabhingen. Die ausgedehnte Unterseite des zentralen Kegels wurde von einer gummiartigen, grauen Substanz eingesäumt, die das ganze Wesen bewegte, indem sie sich abwechselnd zusammenzog und ausdehnte.

    Die Tätigkeit dieser Wesen schien harmlos, erschreckte mich aber trotzdem mehr als ihr Aussehen denn es ist befremdlich, monströse Objekte bei Handlungen zu beobachten, die man bisher nur bei Menschen gekannt hat.

    Diese Objekte bewegten sich verständig in den großen Räumen, holten Bücher aus Regalen, trugen sie zu den großen Tischen und stellten sie später wieder zurück, und manchmal schrieben sie eifrig mit einem sonderbaren Stab, den sie in den grünlichen Kopftentakeln hielten. Die riesigen Scheren wurden beim Transport der Bücher und im Gespräch benutzt wobei die Sprache in einer Art Klicken bestand.

    Die Wesen trugen keine Kleider, aber Ranzen oder Tornister, die von der Spitze des konischen Rumpfes

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