Der Schatten des Folterers
Klirr, Klirr des Löffels. Dunkelheit umgab mich, doch aus der Dunkelheit tauchte das Gesicht einer Frau auf, so gewaltig wie die fahle Mondscheibe. Es war nicht sie, die weinte – ich konnte das Schluchzen noch hören, doch dieses Gesicht war ausgeglichen, ja von solcher Schönheit, wie sie sich kaum in Worte kleiden läßt.
Sie streckte die Arme nach mir aus, und ich wurde sofort zu einem Vöglein, das ich im Jahr zuvor mit der Hoffnung, es handzahm zu machen, aus seinem Nest genommen hatte, denn ihre Hände waren so lang wie die Särge meines geheimen Mausoleums, in denen ich mich manchmal zur Ruhe legte. Sie packten mich, zogen mich hoch und stießen mich dann nach unten, von ihrem Gesicht weg und fort vom Schluchzen, hinunter in das schwarze Dunkel, so daß ich schließlich auf dem Grund, der mir schlammig vorkam, aufschlug und durch ihn hindurch in eine schwarzgeränderte Lichterwelt purzelte.
Noch immer bekam ich keine Luft. Ich wollte gar nicht mehr atmen, und mein Brustkorb hatte seine unwillkürlichen Bewegungen eingestellt. Ich glitt durchs Wasser, obwohl ich nicht wußte wie. (Später erfuhr ich, daß Drotte mich am Schopf gepackt hatte.) Sogleich lag ich auf den kühlen, schlüpfrigen Steinen, während Roche, dann Drotte und schließlich wieder Roche mir Atem in den Mund spendeten. Augen umringten mich, wie einen die immer wiederkehrenden Muster eines Kaleidoskops umringen, und ich glaubte, eine Sehstörung bei mir vervielfache Eatas Augen.
Zuletzt wandte ich mich energisch von Roche ab und erbrach große Mengen schwarzen Wassers. Hierauf war mir wieder wohler. Ich konnte mich aufsetzen und wieder schnaufen, wenn auch wie ein Schwindsüchtiger; obschon ich matt war und mir die Hände zitterten, konnte ich meine Arme wieder heben. Die Augen ringsum gehörten leibhaftigen Menschen, den Leuten aus den Mietshäusern. Eine Frau brachte eine Schale mit einem heißen Getränk – ich konnte nicht unterscheiden, ob es sich um Suppe oder Tee handelte, nur daß es kochend heiß und etwas salzig war und rauchig schmeckte. Ich tat, als tränke ich, wobei ich mir, wie sich herausstellte, die Lippen und die Zunge ein wenig verbrannte.
»War das Absicht?« fragte Drotte. »Wie bist du raufgekommen?« Ich schüttelte den Kopf.
Jemand aus der Menge sagte: »Er ist richtig aus dem Wasser geschossen!«
Roche hielt beruhigend meine zitternde Hand. »Wir dachten, du würdest woanders rauskommen. Daß du einen Spaß mit uns machtest.«
Ich erwiderte: »Ich habe Malrubius gesehen.«
Ein alter Mann, ein Fischer, seiner teerverschmierten Kleidung nach, nahm Roche bei der Schulter. »Wer ist das?«
»War einmal unser Lehrherr. Er ist tot.«
»Keine Frau?« Der Greis hielt Roche fest, sah aber mich an.
»Nein, nein«, antwortete Roche ihm. »Es gibt keine Frauen in unserer Zunft.«
Trotz des heißen Tranks und des warmen Tages war mir kalt. Einer der Burschen, mit denen wir manchmal kämpften, brachte eine staubige Decke, in die ich mich einwickelte; aber es hatte so lange gedauert, bis ich wieder bei Kräften war und gehen konnte, daß die Statue der Nacht über der Karawanserei am anderen Ufer, als wir das Tor der Nekropolis erreichten, nur noch ein winziger schwarzer Streifen vor dem Feuerball der Sonne und das Tor selbst zu und abgesperrt waren.
Das Gesicht des Autarchen
Erst am nächsten Vormittag fiel mir die Münze wieder ein, die Vodalus mir gegeben hatte. Nach dem Tischdienst im Refektorium bei den Gesellen hatten wir wie üblich gefrühstückt, waren zu Meister Palaemon ins Klassenzimmer gegangen und ihm nach einer kurzen Einführung in die Untergeschosse gefolgt, um die Arbeit der vorausgegangenen Nacht zu besichtigen.
Aber vielleicht sollte ich, bevor ich weiterschreibe, zu den Örtlichkeiten unseres Matachin-Turms nähere Erläuterungen geben. Er steht im hinteren Teil der Zitadelle an der Westseite. Im Erdgeschoß befinden sich die Studierzimmer unserer Meister, wo Besprechungen mit den Justizbeamten und den Vorstehern anderer Gilden stattfinden. Unser Gemeinschaftsraum, dessen Rückwand an die Küche grenzt, ist darüber zu finden. Über diesem schließt sich das Refektorium an, das uns als Versammlungs- und Speisesaal dient. Oberhalb davon liegen die Stuben unserer Meister, die in besseren Zeiten viel zahlreicher waren. Im Stock darüber sind die Stuben der Gesellen und wiederum darüber Schlafsaal und Schulzimmer der Lehrlinge und verschiedene Mansarden und leerstehende Kämmerchen untergebracht.
Weitere Kostenlose Bücher