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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Verteidigung bereitstehen, wie die Termiten ihre mannshohen Erdnester in den Steppen des Nordens verteidigen. Dies ist das vierte Mal, daß Baldanders und ich die Mauer passieren; als wir einst, wie ich dir erzählte, in den Süden kamen, betraten wir Nessus durch dieses Tor. Ein Jahr später verließen wir die Stadt durch das sogenannte Klagetor. Erst kürzlich kehrten wir mit dem wenigen Geld, das wir dort eingenommen hatten, aus dem Süden zurück – durch das andere südliche, das Lobestor. Stets haben wir das Innere der Mauer so gesehen, wie es sich uns jetzt darbietet, und die Sklaven des Autarchen blickten zu uns heraus. Ich bezweifle nicht, daß es darunter viele gibt, die nach einem bestimmten Missetäter Ausschau halten und ausschwärmten, entdeckten sie den Gesuchten, um ihn zu ergreifen.«
    Hierauf sagte der Mann auf dem Merychippus (der Jonas hieß, wie ich später erfuhr): »Verzeihung, Optimat, aber ich habe notgedrungen alles gehört. Ich kann einiges dazu sagen, wenn's genehm ist.«
    Dr. Talos sah mich mit funkelnden Augen an. »Aber das wäre ja großartig, unter einer Bedingung allerdings. Wir wollen nur über die Mauer und ihre Bewohner sprechen. Was heißen soll, wir wollen keine Fragen zu deiner Person stellen. Und du bist so höflich und hältst es ebenso.«
    Der Fremde schob seinen zerbeulten Hut zurück, und ich sah, daß er anstelle der rechten Hand ein stählernes Kunstglied trug. »Du hast mich besser verstanden, als ich wollte – wie der Mann sagte, als er in den Spiegel blickte. Offengestanden wollte ich mich erkundigen, warum ihr mit dem Carnifex reist und warum diese Dame, die lieblichste, die ich je gesehen, im Staub geht.«
    Jolenta ließ den Steigbügelriemen los und entgegnete: »Du bist arm, Gevatter, wie ich sehe, und nicht mehr jung. Es ziemt sich wohl nicht, daß du mich mit Fragen belästigst.«
    Selbst in diesem dämmrigen Tor war zu sehen, daß dem Fremden das Blut ins Gesicht schoß. Sie hatte recht. Seine Kleider waren zerrissen und mit Straßenschmutz besudelt, wenn auch nicht so dreckig wie Hethors Gewand. Wind und Wetter hatten, sein Gesicht rauh und furchig gemacht. Etwa ein Dutzend Schritte lang sagte er nichts, setzte aber dann zu einer Antwort an. Seine klanglose Stimme war weder hoch noch tief, aber von trockenem Humor geprägt.
    »Vor langer Zeit fürchteten die Fürsten dieser Welt nur das eigene Volk, sonst niemand, und erbauten, um sich vor ihm zu schützen, eine gewaltige Burg auf einem Hügel nördlich der Stadt. Diese hieß damals nicht Nessus, da der Fluß noch unverpestet war.
    Viele Leute erzürnte der Bau dieser Zitadelle, da sie es als ihr Recht ansahen, ihren Fürsten ungehindert erschlagen zu können, wenn sie wollten. Andere indes zogen in den Schiffen, welche die Sterne ansteuerten, hinaus und kehrten reich an Schätzen und Wissen heim. Schließlich kehrte eine Frau zurück, die dort draußen nichts als eine Handvoll Bohnen erlangt hatte.«
    »Aha«, unterbrach Dr. Talos, »du bist Märchenerzähler von Beruf. Ich wünschte, du hättest uns sofort davon in Kenntnis gesetzt, denn wir sind, wie du bestimmt gesehen hast, gewissermaßen vom Fach.«
    Jonas schüttelte den Kopf. »Nein, das ist so ziemlich die einzige Geschichte, die ich kenne.« Er blickte zu Jolenta hinab. »Darf ich fortfahren, schönste aller Frauen?«
    Ich wurde abgelenkt durch das vor uns auftauchende Tageslicht und den Tumult unter den Fuhrwerken, welche die Straße verstopften, da viele, auf ihre Gespanne einschlagend und mit der Peitsche eine freie Gasse bahnend, umzukehren versuchten.
    »... sie zeigte die Bohnen den Menschenfürsten und drohte damit, sie in die See zu werfen und der Welt damit ein Ende zu bereiten, falls man ihr nicht gehorche. Man ergriff sie und riß sie in Stücke, denn die Herrschergewalt der Fürsten war die hundertfache unseres Autarchen.«
    »Der leben möge, bis die Neue Sonne kommt«, flüsterte Jolenta.
    Dorcas umklammerte meinen Arm fester und fragte: »Warum fürchten sie sich so?« Dann schrie sie auf und bedeckte das Gesicht mit den Händen, denn die Eisenspitze eines Peitschenriemens hatte sie an der Wange getroffen. Ich beugte mich flugs über den Kopf des Merychippus, packte den Fuhrknecht, der sie geschlagen hatte, am Knöchel und zerrte ihn von seinem Bock. Das ganze Tor hallte wider vom Gefluche, vom Geschrei der Verletzten und vom Gebrüll der erschreckten Tiere; und wenn der Fremde seine Geschichte weitererzählte, so konnte ich ihn

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