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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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durch sein glänzendes Augenglas musterte.
    »Wenn ein Klient spricht, Severian, dann hörst du nichts! Überhaupt nichts! Denke an Mäuse, deren Quieksen einem Menschen unverständlich ist!«
    Ich kniff die Augen zusammen zum Zeichen dafür, daß ich an Mäuse dachte.
    Den ganzen langen, ermüdenden Weg hinauf über die Treppe zu unserem Klassenzimmer gelüstete es mich danach, die dünne Metallscheibe, die ich umklammert hielt, anzuschauen; doch mir war klar, wenn ich das täte, würde es der Knabe hinter mir (das war zufällig Eusignius, einer der jüngeren Lehrlinge) sehen. Im Klassenzimmer, wo Meister Palaemon Bemerkungen zu einer zehn Tage alten Leiche herunterleierte, war die Münze wie eine glühende Kohle, aber einen Blick auf sie zu werfen, das wagte ich nicht.
    Erst am Nachmittag konnte ich mich zurückziehen und in den Ruinen der Ringmauer im leuchtenden Moos verstecken; jedoch zögerte ich, als ich die geschlossene Faust gegen die Sonne hielt, weil ich befürchtete, die Enttäuschung, wenn ich sie sähe, wäre doch größer, als ich ertragen könnte.
    Nicht weil mir ihr Wert etwas bedeutete. Obwohl ich bereits ein Mann war, besaß ich so wenig Geld, daß jede Münze mir wie ein Vermögen vorgekommen wäre. Vielmehr stellte die Münze (die jetzt so geheimnisvoll in meiner Hand verborgen lag, was sie aber bald wohl nicht mehr wäre) das einzige Verbindungsglied zum Abend davor dar, die einzige Beziehung zu Vodalus und der schönen, vermummten Frau und dem robusten Mann, der mit seiner Schaufel nach mir geschlagen hatte, meine einzige Beute vom Kampf am offenen Grab. Das Leben in der Zunft war das einzige Leben, das ich kannte, und es kam mir nun grau wie mein zerlumptes Hemd vor, verglichen mit der aufblitzenden Schwertklinge des Beglückten und dem durch den Friedhof hallenden Schuß. Vielleicht wäre all das weg, öffnete ich die Hand.
    Schließlich sah ich nach, sobald ich das spannende Gefühl des drohenden Verlusts ausgekostet hatte. Ein goldener Chrysos war die Münze, und abermals schloß ich meine Hand, weil ich befürchtete, ihn nur mit einem Orikalkum aus Messing verwechselt zu haben, und wartete, bis ich wieder Mut gefaßt hatte.
    Das war das erste Mal, daß ich ein Stück Gold in Händen hielt. Orikalken hatte ich schon recht oft gesehen und sogar schon einige besessen. Silberne Asimi hatte ich ein- oder zweimal zu Gesicht bekommen. Aber von Chrysos hatte ich nur die gleiche vage Vorstellung wie von der Existenz einer Welt außerhalb unserer Stadt Nessus und von den anderen Kontinenten im Norden und Osten und Westen.
    Auf dieses Geldstück war ein Antlitz geprägt, ein Frauengesicht, wie ich zuerst dachte, ein gekröntes Frauenhaupt, weder jung noch alt – aber still und vollendet in diesem zitronengelben Metall. Schließlich drehte ich den Schatz um und hielt dann fürwahr den Atem an; auf der Rückseite war genau das gleiche fliegende Schiff abgebildet, das ich im Wappen über der Tür meines geheimen Mausoleums entdeckt hatte. Das war mir unerklärlich, dermaßen unerklärlich, daß ich damals nicht einmal Mutmaßungen darüber anstellte, so sicher war ich mir, alle Mutmaßungen wären vergeblich. Statt dessen steckte ich die Münze wieder in meine Tasche und ging wie in Trance zurück zu meinen Kameraden.
    Die Münze mit mir herumzutragen kam nicht in Frage. Sobald sich eine Möglichkeit dazu ergab, schlich ich allein in die Nekropolis und suchte mein Mausoleum auf. Das Wetter hatte an diesem Tag umgeschlagen – ich schlüpfte durch tropfnasses Gebüsch und stapfte durch hohes, altes Gras, das sich allmählich zur Winterruhe umlegte. Als ich an meine Zuflucht gelangte, war sie nicht mehr der kühle, einladende Unterschlupf des Sommers, sondern eine eisige Fallgrube, in der ich obskure Feinde witterte, Feinde von Vodalus, der inzwischen sicherlich wußte, daß ich sein verschworener Anhänger war; sobald ich einträte, würden sie hervorstürmen und die schwarze Tür auf frisch geölten Angeln zuschlagen. Natürlich war mir klar, daß dies Unsinn war. Trotzdem war mir ebenfalls klar, daß Wahrheit darin lag, daß die Bedrohung, der ich mich ausgesetzt fühlte, eine zeitbedingte war. In ein paar Monaten oder Jahren wäre es vielleicht so weit, daß diese Feinde mir auflauerten; als ich die Streitaxt schwang, hatte ich mich fürs Kämpfen entschieden, was ein Folterer normalerweise nicht tut.
    Es war eine Steinplatte im Boden ziemlich nahe am Fuß meiner bronzenen Totenstatue locker. Ich

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