Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
Kreischen der Säge- und Schleifmaschinen klang gedämpfter. Thalmann saß auf einem Drehstuhl; er schien auf Zürn gewartet zu haben.
    »Die lassen mich nicht raus«, sagte Thalmann zur Begrüßung. »Ich weiß«, antwortete Zürn.

    »Jetzt seid ihr dran«, sagte Thalmann.
    »Das weiß ich auch«, antwortete Zürn.
    Es waren etliche zehntausend Mark, die jeder von ihnen in den letzten Jahren nebenbei verdient hatte – vor allem mit maßgefertigten Wohnungseinrichtungen für Privatkunden, an der Justizkasse vorbei abgerechnet. Thalmanns Anteil sollte ihm nach der Haftentlassung helfen, beim Start ins neue Leben oder was immer er dann vorhatte. Das war jetzt hinfällig. Zürn wusste zu gut, dass damit auch er in der Luft hing. Und Maugg. »Er kann es in einem Jahr doch noch einmal versuchen«, wagte Maugg einzuwerfen.
    »Ich muss jetzt raus«, sagte Thalmann. »Verschaff mir einen Freigang.«
    »Du weißt ganz genau, dass das jetzt nicht geht«, wehrte Zürn ab. »Wenn der Antrag abgelehnt ist, sind alle Freigänge vorerst gestrichen. Sicherheitsgründe.«
    »Das ist mir egal«, gab Thalmann zurück. »Besorg mir einen Auftrag in Rodegg.« Rodegg war eine Außenstelle, und die Gefangenen dort arbeiteten in der Landwirtschaft. Die Anlage war kaum überschaubar, und es hatte immer wieder Ausbruchsversuche gegeben, einige waren sogar erfolgreich gewesen. Und bei einigen hatten die Kollegen auch schon schießen müssen. Gar keine so schlechte Idee, dachte sich Zürn.
    Dann merkte er, dass Thalmann ihn mit einem kalten und prüfenden Blick fixierte. »Nein. Rodegg nicht«, sagte Thalmann nach einer Pause. »Es muss von hier aus gehen. Ich hab’ keine Lust, Unkraut zu jäten. Nicht einen Tag. Von den Narren, die dort zu schnell schießen, will ich gar nicht erst reden.« Zürn überlegte. An seinem rechten Daumennagel hatte sich ein kleiner Hautfetzen gelöst. Gedankenverloren kratzte er daran. »Hör auf«, sagte Thalmann. »Das macht mich verrückt.«
    Zürn ließ die rechte Hand sinken. »Wenn es wirklich schnell gehen soll«, sagte er langsam, »hätten wir die Lieferung
an den Tettnanger Zahnarzt, Mooreiche naturbelassen, da ist eine Sitztruhe dabei. Wofür die Leute nicht alles Geld haben.«
    »Was hat die Mooreiche damit zu tun?«, fragte Maugg.
    »Die Sitztruhe hat damit zu tun, meint Zürn«, sagte Thalmann. »Aber ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Ob nicht ein Schweinehund auf den dummen Gedanken kommt, die Truhe abzuschließen und mit Plastikfolie zuzukleben ...«
    Zürn protestierte: »Wo denkst du hin!«
    »Du hast recht«, sagte Thalmann trocken. »Wie kann ich nur so etwas denken! Und überhaupt. Ich hab’ da in dem Kasten«, er klopfte auf den PC der Schreinerei, »eine dritte Buchführung gespeichert, es ist die richtige, und wisst ihr, was daran besonders lustig ist? Sie wird in ein paar Tagen aktiviert, das heißt, sie meldet den exakten Fehlbetrag aus den letzten Jahren an den Hauptrechner der Verwaltung. Macht euch keine Gedanken, wann sie das tut. Ihr werdet es schon rechtzeitig erfahren.« »Bist du verrückt?« Das war Maugg. Zürn schwieg. Insgeheim hatte er bei Thalmann schon immer mit so etwas gerechnet. Um ihm hinter die Schliche zu kommen, hatte er sogar bei der Volkshochschule einmal einen PC-Kurs belegt. Aber er war nicht mitgekommen.
    »Nein, Maugg, ich bin nicht verrückt«, sagte Thalmann. »Und du weißt, dass niemand so etwas zu mir sagen darf. Und dass dir nur deswegen jetzt noch nichts passiert, weil du ein abgewrackter alter Säufer bist, kurz vorm Endstadium. Wie viel Tage gibt dir der Arzt überhaupt noch? Deine Alte wird sich freuen, wenn du hinüber bist. Aber nicht lange, denn dann muss sie den Rest rausrücken, den du nicht versoffen hast.«
    Maugg öffnete zornig den Mund. Zürn warf ihm einen warnenden Blick zu und schüttelte den Kopf. Alle drei schwiegen. Dann sprach Thalmann weiter. »Jedenfalls kommen die richtigen Zahlen irgendwann auf den Bildschirm, und nur ich weiß, wann das passiert. Und weil die Anlage vernetzt ist,
nützt es überhaupt nichts, wenn irgendwelche Dummköpfe glauben sollten, sie bräuchten diesen PC hier nur mit dem Vorschlaghammer kurz und klein zu schlagen.«
    Zürn wartete. »Und gibt es auch etwas, was nützt?«, fragte er dann.
    »Doch«, sagte Thalmann. »Ihr braucht das Passwort. Und ein paar weitere Befehle. Ich geb’ sie euch telefonisch durch. Wenn ich dann noch leb’ und nicht in der Mooreiche erstickt bin. Und wenn ich das Geld

Weitere Kostenlose Bücher