Der Schatten des Schwans
Männer in den Trainingsanzügen einen Halbkreis um die Wagenseite mit der Fahrertür gebildet und stierten angelegentlich auf den Boden. Tamar richtete sich auf und ging um den Toyota herum.
Berndorf kniete dicht am Wagen. Seine Hose spannte, und außerdem schien sie ziemlich abgewetzt. Mit einiger Anstrengung zog er seinen Kopf unter dem Chassis vor und stand schnaufend auf.
»Was ist da unten?«, wollte Tamar wissen.
»Was wird da unten sein? Schnee«, sagte Berndorf. »Schnee?«
»Na ja, ist halt Winter. Außerdem brauchen wir vielleicht doch die Spurensicherung.«
Montag, 26. Januar, Mariazell
Das Dienstzimmmer des Anstaltsleiters Dr. Theo Pecheisen war in Esche natur möbliert. Er hatte es sich eigens so ausgesucht, weil es hell, freundlich und vor allem zivil aussehen
sollte: »Ein Qualitätserzeugnis aus dem eigenen Hause«, pflegte er den Besuchern stolz zu erläutern. Der Bezug der Sitzmöbel war Ton in Ton mit dem goldbraunen Leinenstoff der Vorhänge abgestimmt. Durch die Fenster ging der Blick auf das Außengelände mit einem Basketball-Spielplatz und weiter zu den Mauern; auf dem Spielplatz und den Mauerkronen lag an diesem Morgen Schnee. Es war Montag, die Woche wartete grau und endlos.
Pecheisen bat Zürn an den Besuchertisch. Kurz sprachen die beiden Männer über den Freitagabend, als die Sensoren der elektronischen Hofraumüberwachung auf den einsetzenden Schneefall reagiert und Alarm ausgelöst hatten.
»Es ist wirklich unerträglich«, klagte Pecheisen. »Als ob unsere Klientel nicht schwierig genug wäre, erst recht an einem Freitagabend. Und da muss uns diese Alarmanlage die Leute für nichts und wieder nichts verrückt machen.«
Zürn sagte, in seinem Trakt sei es ruhig geblieben. »Aber die neue Sicherheitselektronik können Sie wirklich der Katz’ geben. Nur nimmt die’s nicht.«
Er verstehe das auch nicht, meinte Pecheisen: »Die Leute von der Lieferfirma quatschen mir die Ohren voll von Hardware und Software und Prozesssteuerung, aber Tatsache ist, dass das System zusammenbricht, sobald mehrere Alarmmeldungen gleichzeitig eingehen oder kurz nacheinander.«
»Neulich«, sagte Zürn, »bei der Schlägerei zwischen den Albanern und den Rumänen war das so. Wir müssen halt selber wissen, welche Meldung Vorrang hat.« Dann zögerte er und lächelte etwas schief: »Ich kann ja mal Thalmann fragen. In der Schreinerei haben wir solche Probleme nicht.«
»Ich weiß nicht, ob der Justizminister das für einen besonders guten Einfall hielte«, antwortete Pecheisen mit einem etwas gezwungenen Lächeln. Dann wurde seine Miene plötzlich besorgt. »Ach ja, Thalmann! Ich fürchte, dass ich da keine besonders gute Nachricht für Sie habe«, sagte er dann. »Die Vollstreckungskammer hat seine Haftentlassung abgelehnt.
« Er machte eine Pause und sah Zürn sorgenvoll ins Gesicht. »Ich weiß, dass das Probleme geben wird. Er ist ja so etwas wie eine Vertrauensperson.«
Zürn gab den Blick ausdruckslos zurück: »Sie haben es ihm schon gesagt?«
»Ja«, sagte Pecheisen, »und er schien es auch ganz gelassen aufzunehmen, vielleicht sollte ich besser sagen: regungslos. Ich will sagen – es ist mir nicht geheuer.«
»Er ist ja nicht der einzige, dem so etwas passiert«, antwortete Zürn ruhig. »Wir fangen das schon auf.«
Dann ging er. Der Schreck rutschte ihm erst ins Gesicht, als er die Tür zum Dienstzimmer mit den Esche-Möbeln hinter sich geschlossen hatte. Thalmann würde hohl drehen, das war so sicher wie das Unheil, das dann über ihn und den kleinen Wohlstand im Bungalow der Familie Zürn hereinbrechen würde. Was war denn dabei, einen Menschen laufen zu lassen, der 17 Jahre gebüßt hat! Nichts wussten die Leute da draußen vom Leben im Knast. Und auch nichts davon, wie schwer es ist, mit dem jämmerlichen Gehalt eines kleinen Beamten im Justizvollzugsdienst eine Familie durchzubringen.
Zürn ging zu den Werkstätten hinüber. Er durfte keine Zeit verlieren. Heiß schlug ihm in der Schreinerei der Dunst aus Holzstaub, Schleifmittel, Leim und Politur entgegen. Gefangene mit Ohrenschützern waren dabei, Tische und Stühle aus massivem Eichenholz abzuschleifen und fürs Beizen vorzubereiten. Er fand Thalmann in dem Glasverschlag, wo er zusammen mit Maugg, dem Meister der Schreinerei, seinen Arbeitsplatz hatte. Maugg lehnte am Aktenschrank, sein zerklüftetes Gesicht sah noch grauer aus als sonst. Er hat wohl wieder Magenblutungen gehabt, dachte sich Zürn und schloss die Tür. Das
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