Der Schatten erhebt sich
ihr Haar wieder so wie vorher. Sie bewegte dankbar ihre Zehen in den guten, festen Schuhen. Es konnte ja nur ein eigenartiger Nebengedanke gewesen sein. Auf jeden Fall würde sie jetzt ganz bestimmt keinen Verdacht äußern; die beiden schienen sich auch so schon genügend zu amüsieren, sogar Egwene. Ich bin nicht hier, um lächerliche Spiele zu spielen. Und ich werde nicht auch noch Wasser auf ihre Mühlen gießen.
»Wenn ich nicht in ihren Traum eindringen kann, ist es dann möglich, sie hierher in die Welt der Träume mitzunehmen? Ich muß auf irgendeine Art mit ihr reden.« »Das würden wir Euch nicht beibringen, auch wenn wir könnten«, sagte Amys. Sie zog ihren Schal ärgerlich zurecht. »Ihr bittet um etwas Böses, Nynaeve Sedai.« »Sie wäre hier genauso hilflos wie Ihr in ihrem Traum.« Bairs dünne Stimme klang wie eine Eisenrute. »Man hat von der allerersten Traumgängerin bis heute weitergegeben, daß niemand jemals gegen ihren oder seinen Willen in einen Traum gezwungen werden darf. Man sagt, nur der Schatten habe das in den letzten Tagen des Zeitalters der Legenden getan.« Nynaeve trat von einem Fuß auf den anderen. Sie fühlte sich alles andere als wohl unter diesen harten Blicken. Ihr wurde bewußt, daß ihr Arm noch um Egwenes Taille lag, und so hielt sie ganz still. Sie wollte nicht, daß Egwene glaubte, sie hätten sie nervös gemacht. Das hatten sie ja auch nicht. Wenn sie an das Gefühl dachte, vor die Versammlung der Frauen zitiert zu werden, damals, bevor sie zur Seherin gewählt worden war... Nein, das hatte nichts mit den Weisen Frauen zu tun. Man mußte einfach nur fest bleiben... Sie starrten sie an. Verschwommen oder nicht, die Blicke dieser Frauen konnten es in der Tat mit denen von Siuan Sanche aufnehmen. Besonders diejenigen Bairs. Nicht, daß sie sich einschüchtern ließ, aber nun war der Punkt erreicht, wo allein Vernunft zählte. »Elayne und ich brauchen Hilfe. Die Schwarzen Ajah sitzen auf irgend etwas, das Rand schaden kann. Falls die anderen es vor uns finden, sind sie vielleicht in der Lage, ihn zu beherrschen. Wir müssen es zuerst finden! Wenn Ihr irgend etwas tun könnt, um uns zu helfen, mir irgend etwas sagen könnt... Überhaupt nur irgend etwas.« »Aes Sedai«, sagte Amys, »bei Euch klingt eine Bitte um Hilfe wie eine Forderung.« Nynaeve verzog den Mund. Forderung? Sie hatte doch beinahe gebettelt. Forderung, ha! Die Aielfrau schien nichts zu bemerken. Oder sie wollte nicht. »Aber eine Gefahr, die Rand al'Thor bedroht... Wir können dem Schatten nicht erlauben, das in die Hände zu bekommen. Es gibt eine Möglichkeit.« »Gefährlich.« Bair schüttelte lebhaft den Kopf. »Diese junge Frau weiß weniger als Egwene zu der Zeit, als sie zu uns kam. Es ist zu gefährlich für sie.« »Dann könnte doch ich vielleicht...«, begann Egwene, und die beiden schnitten ihr gleichzeitig das Wort ab.
»Ihr werdet Eure Ausbildung erst einmal beenden. Ihr seid immer zu schnell dabei, über das hinauszuschießen, was Ihr wollt und könnt«, sagte Bair in scharfem Ton, und zur gleichen Zeit sagte Amys keineswegs sanfter »Ihr befindet Euch nicht in Tanchico. Ihr kennt den Ort nicht, und Ihr seid nicht in Nynaeves Lage. Sie ist die Jägerin.« Unter diesen harten Blicken gab Egwene schmollend nach, und die beiden Weisen Frauen blickten einander an. Schließlich zuckte Bair die Achseln und wickelte den Schal um ihr Gesicht. Ganz klar, daß sie ihre Hände in Unschuld wusch, was dieses Problem betraf.
»Es ist gefährlich«, sagte Amys. Bei den beiden klang es, als sei selbst das Luftholen in Tel'aran'rhiod gefährlich.
»Ich...!« Nynaeve unterbrach sich gleich wieder, als Amys' Blick noch härter wurde, was sie eigentlich nicht für möglich gehalten hätte. Sie hielt sich noch einmal bewußt das Bild ihrer Kleidung vor Augen; obwohl sie wahrscheinlich nichts damit zu tun gehabt hatten, war es doch besser, vorsichtig zu sein, damit alles so blieb, wie es jetzt war. Und so sagte sie etwas ganz anderes, als sie vorgehabt hatte: »Ich werde vorsichtig sein.« »Es ist an sich nicht möglich«, sagte Amys ganz offen zu ihr, »aber ich weiß keinen anderen Weg. Der Schlüssel liegt in der Notwendigkeit. Wenn in einer Festung zu viele Menschen leben, muß sich die Septime teilen, und es ist absolut notwendig, in der neuen Festung Wasser zu haben. Wenn man keinen passenden Ort findet, ruft man schließlich eine von uns herbei, um einen solchen aufzuspüren. Der Schlüssel liegt
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