Der Schatten erhebt sich
die Weissagung oder die Aussicht auf Tarmon Gai'don, was mir angst macht. Vielleicht ist es dumm, aber ich habe nun einmal Elayne versprochen, auf ihn aufzupassen, und nun weiß ich nicht, wie ich das anstellen soll.« Nynaeve ging um das Kristallschwert herum und legte einen Arm um Egwene. Wenigstens hatte sie selbst das Gefühl, körperlich zu sein, auch wenn die andere wie ein Bild auf einem angelaufenen Spiegel aussah. Rands geistige Gesundheit. In dieser Hinsicht konnte sie nichts tun, noch nicht einmal etwas wirklich beruhigendes sagen. Egwene war schließlich diejenige, die bei ihm blieb und auf ihn aufpassen wollte. »Das Beste, was du für Elayne tun kannst, ist, ihm zu sagen, er solle das lesen, was sie ihm geschrieben hat. Sie macht sich Sorgen um ihn. Sie redet wohl nicht darüber, aber ich glaube, sie fürchtet, mehr gesagt zu haben, als sie sollte. Wenn er glaubt, sie sei bis über beide Ohren verliebt, dann ist die Wahrscheinlichkeit größer, daß er dasselbe empfindet, und das ist bestimmt nicht schlecht für sie. Wenigstens haben wir ein paar gute Neuigkeiten aus Tanchico. Aber nur ein paar.« Als sie alles erklärte, schien noch nicht einmal diese Einschränkung gerechtfertigt.
»Also wißt ihr immer noch nicht, was sie eigentlich suchen«, sagte Egwene, nachdem sie geendet hatte. »Und selbst wenn, dann wären sie bereits an Ort und Stelle und könnten es zuerst aufspüren.« »Nicht, wenn ich es verhindern kann.« Nynaeve sah die beiden Weisen Frauen fest und entschlossen an. Elayne hatte ja berichtet, daß Amys zögerte, sich mehr als nur in Warnungen zu äußern. Also mußte sie ganz entschlossen mit ihnen umgehen, wenn sie etwas in Erfahrung bringen wollte. Im Moment sah das Paar so verschwommen und durchscheinend aus, daß ein kräftiges Hauchen gereicht hätte, um sie wie Nebel wegzublasen. »Elayne glaubt, Ihr kennt alle möglichen Dinge, die man im Traum tun kann.
Gibt es eine Möglichkeit, in Amatheras Träume einzudringen, um herauszufinden, ob sie zu den Schattenfreunden gehört?« »Närrisches Mädchen.« Bair schüttelte ihr langes Haar. »Und auch wenn Ihr eine Aes Sedai seid, so seid Ihr doch ein närrisches Mädchen. In den Traum eines anderen Menschen einzudringen ist sehr gefährlich, es sei denn, sie kennt und erwartet Euch. Es ist ihr Traum und nicht mit dem hier zu vergleichen. Dort wird diese Amathera alles unter Kontrolle haben. Selbst Euch.« Das hatte sie so nicht bedacht. Es war ärgerlich, darauf gestoßen zu werden. Und dann noch ›närrisches Mädchen‹!
»Ich bin kein Mädchen«, fauchte sie. Sie hätte am liebsten an ihrem Zopf gerissen, aber statt dessen ballte sie lediglich eine Faust. Aus irgendeinem Grund hatte sie in letzter Zeit ein komisches Gefühl dabei, wenn sie sich ertappte, an ihrem Haar zu ziehen. »Ich war die Seherin von Emondsfeld, bevor ich... bevor ich eine Aes Sedai wurde...« Sie brachte diese Lüge mittlerweile recht leicht über die Lippen. »... und ich habe Frauen in Eurem Alter befohlen, sich hinzusetzen und den Mund zu halten. Wenn Ihr wißt, wie Ihr mir helfen könnt, dann sagt mir das, statt mir närrische Sprüche über irgendwelche Gefahren an den Kopf zu werfen. Ich erkenne eine Gefahr, wenn ich vor ihr stehe.« Mit einemmal bemerkte sie, daß sich ihr einzelner Zopf in zwei geteilt hatte, einer auf jeder Seite, und rote Bänder waren so eingeflochten, daß sie unten jeweils eine hübsche Schleife bildeten. Ihr Rock war so kurz, daß sogar die Knie sichtbar waren. Dazu trug sie eine lose hängende weiße Bluse wie die Weisen Frauen, und Schuhe und Strümpfe fehlten ganz. Wo kam denn das her? Sie hatte ganz sicher niemals daran gedacht, so etwas zu tragen. Egwene legte sich schnell die Hand vor den Mund. War sie erschrocken? Sicher lachte sie doch nicht!
»Unkontrollierte Gedanken«, sagte Amys, »können einem manchmal Schwierigkeiten bereiten, Nynaeve Sedai, bis Ihr es gelernt habt.« Trotz ihres nichtssagenden Tonfalls zuckten ihre Lippen ein wenig in kaum verhohlener Heiterkeit.
Nynaeve beherrschte ihre Gesichtszüge nur mit größter Anstrengung. Sie konnten ja wohl nichts damit zu tun gehabt haben. Oder etwa doch? Sie gab sich alle Mühe, um ihre Kleidung wieder zurückzuverwandeln, aber es war ein harter Kampf, so, als versuche etwas, sie daran zu hindern. Ihre Wangen wurden heißer und heißer. Und dann plötzlich, gerade als sie nahe daran war, aufzugeben und um Rat oder sogar um Hilfe zu bitten, waren ihre Kleidung und
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