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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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nächstes beibringen? Ich weiß. Mir hat das immer so gefallen: ›Ich habe tausend Matrosen geliebt‹.« Sie winkte mit einem mahnenden Finger. »Geht sicher, daß ihr den ganzen Text richtig lernt, Amathera. Ihr wißt, es würde mir nicht gefallen... Was starrt Ihr so an?« Mit einem Schlag wurde Nynaeve bewußt, daß die Frau am Bettpfosten - Amathera? Die Panarchin? - sie geradewegs anstarrte. Temaile wälzte sich bequem herum, um nachzusehen, was da sei.
    Nynaeve schloß schnell die Augen und konzentrierte sich. Dringend. Notwendig.
    Eine erneute Verschiebung.
    Nynaeve ließ sich gegen die schmale Säule sinken und sog erst einmal gierig Luft ein, als sei sie zwanzig Meilen weit gerannt. Sie wollte gar nicht wissen, wo sie sich befand. Ihr Herz hämmerte wie eine Trommel, wenn zum Tanz aufgespielt wurde. In einer Schlangengrube landen, ja? Temaile Kinderode. Die Schwarze Schwester, von der Amico gesagt hatte, daß sie es genieße, jemandem weh zu tun, so sehr, daß es sogar den anderen Schwarzen auffiel. Und sie selbst war nicht in der Lage, etwas mit der Macht anzufangen. Es hätte damit enden können, daß sie den nächsten Bettpfosten neben Amathera zierte. Licht! Sie schauderte, wenn sie nur daran dachte. Beruhige dich, Frau! Du bist ja draußen, und selbst wenn Temaile dich sah, sah sie halt nur eine Frau mit honigfarbenem Haar, die wieder verschwand, einfach eine aus Tarabon, die sich einen Augenblick lang nach Tel'aran'rhiod hineinträumte. Sicher war Temaile sich ihrer nicht lange genug bewußt gewesen, um zu erkennen, daß sie die Macht lenken konnte. Auch zu den Zeiten, wo sie gar nicht in der Lage dazu war, konnte jemand mit dem gleichen Talent das bei ihr spüren. Nur einen Moment lang. Mit etwas Glück hatte dieser Moment nicht ausgereicht.
    Wenigstens kannte sie jetzt Amatheras Lage. Die Frau war jedenfalls keine Verbündete Temailes. Also hatte diese Suchmethode bereits Früchte getragen. Aber eben noch nicht genug. Sie zwang sich, ruhiger zu atmen, und blickte sich um.
    Reihen von schmalen weißen Säulen zogen sich ganz um den riesigen Saal, der beinahe genauso breit wie lang war.
    Der Boden unter ihren Füßen bestand aus glänzenden weißen Steinplatten, und die Decke war mit runden, vergoldeten Buckeln verziert. An hüfthohen Pfosten aus dunklem, glänzenden Holz hing rund herum ein dickes Seil aus weißer Seide, nur dort unterbrochen, wo sich Türen mit ihren jeweils zwei Spitzbögen befanden. An den Wänden standen Podeste und offene Vitrinen, in denen die Knochen eigenartiger Tiere ausgestellt lagen. Auch im Inneren standen noch ebenfalls durch Seile vom übrigen Raum abgetrennte Vitrinen. Egwenes Beschreibung nach mußte das der große Ausstellungssaal des Palastes sein. Was sie suchte, mußte sich also hier befinden. Ihren nächsten Schritt mußte sie demnach nicht mehr so blindlings tun wie den ersten. Hier gab es bestimmt keine Schlangen und keine Temailes.
    Plötzlich erschien neben einer Glasvitrine mit geschnitzten Beinen, die mitten im Saal stand, eine gutaussehende Frau. Sie stammte wohl nicht aus Tarabon. Ihr dunkles Haar fiel ihr in Locken auf die Schultern, aber das war es nicht, was Nynaeve Augen und Mund aufreißen ließ. Das Kleid der Frau schien nur aus feinem Dunst zu bestehen, an manchen Stellen silbrig und undurchsichtig, an anderen jedoch grau und so dünn, daß ihr Körper deutlich sichtbar war. Wo immer sie auch herkam, sie hatte jedenfalls eine lebhafte Vorstellungskraft. Sich so etwas einfallen zu lassen! Selbst die skandalösen Kleider der Domanifrauen, von denen sie gehört hatte, konnten bestimmt bei diesem nicht mithalten.
    Die Frau lächelte die Glasvitrine an und ging dann weiter durch den Saal. Auf der gegenüberliegenden Seite blieb sie vor etwas stehen, das Nynaeve nicht erkennen konnte, und betrachtete es eingehend. Es war etwas Dunkles auf einem weißen Steinpodest.
    Nynaeve runzelte die Stirn und ließ die Handvoll honigfarbener Zöpfe los, die sie schon wieder gepackt hatte. Die Frau konnte jeden Augenblick wieder verschwinden. Nur wenige träumten sich über längere Zeit hinweg nach Tel'aran'rhiod hinein. Natürlich spielte es keine Rolle, ob die Frau sie sah, denn sie stand bestimmt nicht auf ihrer Liste der Schwarzen Schwestern. Und doch kam sie ihr irgendwie... Nynaeve wurde bewußt, daß sie schon wieder ihre Zöpfe in der Hand hielt. Die Frau... Ihre Hand riß ganz von allein hart an den Zöpfen, und sie blickte sie verblüfft an. Ihre Knöchel

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