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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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ich es ohne das geringste Zögern wieder
tun. «
»Und was ist mit den unschuldigen Menschen, die dabei
starben?« »Ich kann nicht vorgeben, den Tod von
Menschen zu bedauern, die ich nie gekannt habe.
Niemand kann das. Wenn es dennoch Personen gibt, die
das behaupten, so lügen sie. Humbug nennt man so
etwas. Ich habe Ihnen die Wahrheit versprochen, und die
Wahrheit lautet: Ich bedaure nicht, den Tod dieser Leute
verursacht zu haben. Hätte ich das Schiff nicht versenkt,
hätte das den Tod einer sehr viel größeren Zahl von
Menschen bedeutet --- sei es durch Hunger und Armut,
durch Unwissenheit und Krieg. Mit einem Wort, es war
ein Akt reinster Menschenliebe. «
Sally fühlte sich schwindelig, obwohl sie in einem
Sessel saß. Sie schloss die Augen und kämpfte gegen das
Schwächegefühl an. Sie versuchte sich Frederick
vorzustellen und sich zu erinnern, was sie sich
vorgenommen hatte und warum.
Schließlich sagte sie: »Was hat es mit Ihren
Beziehungen zur britischen Regierung auf sich? Als Mr.
Windlesham Samstagabend in die Burton Street kam,
nannte er die Namen verschiedener Staatsvertreter, die
Sie in der Tasche hätten. Warum sind Sie auf solche
Kanäle angewiesen? Und warum kam Mr. Windlesham
überhaupt zu uns? Wir haben ihm nicht geglaubt, als er
sagte, North Star stehe kurz vor dem Zusammenbruch.
Ich vermute, dass Sie ihn geschickt haben. «
»Selbstverständlich. Ich habe ihn zum Spionieren
geschickt. Aber Sie haben nach meinen Verbindungen
zur Regierung gefragt --- das ist eine interessante, aber
sehr heikle Angelegenheit... Sicherlich wissen Sie, dass
die wirklich wichtigen politischen Entscheidungen
außerhalb der Sphäre der Öffentlichkeit fallen. Was Sie
vielleicht nicht wissen, ist, dass vieles auch dem
Kabinett, ja manchmal sogar den zuständigen
Ressortministern unbekannt bleibt. So ist es in allen
Staaten, besonders aber in Großbritannien. Dank meinen
Kontakten, die sich mir durch Lord Wytham eröffneten
(der freilich ihre Tragweite nicht durchschaute), habe ich
nun meine Hände an den Schalthebeln der wirklichen
Macht in Großbritannien. Aber ich kann Ihnen eines
sagen, Miss Lockhart: In neunundneunzig von hundert
Fällen wirkt diese heimliche Macht, diese unsichtbare
Autorität, die von keinem Wählervotum legitimiert ist,
tatsächlich zum Wohle der Menschen. Auf hundertfältige
Weise, die der gewöhnliche Bürger niemals verstehen
würde, haben die Menschen ein besseres Leben dank
dieser wohlwollenden Lenkung, dieser geheimen
väterlichen Hand, die sie führt und beschützt. Unter allen
wirklich mächtigen Männern --- und, wie ich schon
angedeutet habe, sind das nicht immer die Männer, von
denen die Welt meint, sie seien mächtig - herrscht eine
Kameradschaft der besonderen Art, fast eine
Freimaurerbruderschaft. Hat sich das Leben der
Beschäftigten des North-Star-Konzerns verbessert? Ist es
besser als zu den Zeiten, als dort noch Lokomotiven
hergestellt wurden? Keine Frage. Schauen Sie sich nur
ihre Häuser an. Besichtigen Sie die Schulen und das
Krankenhaus, das wir gerade erst erbaut haben. Sehen
Sie sich ein Fußballspiel auf dem Sportplatz an, der
eigens angelegt wurde. Die Arbeiter sind gut ernährt,
gesund und glücklich. Wem sie das verdanken, wissen
sie nicht, aber wir, Sie und ich, wir wissen es. Wenn es
keine Kriege mehr geben und auf der ganzen Welt
Frieden herrschen wird, werden sie ebenfalls nicht
wissen, warum das so ist. Sie werden es auf bessere
Bildungseinrichtungen, auf die Entwicklung des
menschlichen Gehirns, auf eine Optimierung des
Wirtschaftssystems, einen Anstieg der Zahl der
Kirchenbesucher oder eine bessere Abwasserentsorgung
zurückführen. Wir werden wissen, dass die wahre
Ursache in jener Waffe gesehen werden muss, die so
schrecklich ist, dass sich ihre Anwendung verbietet.
Doch es tut nichts zur Sache, dass die gewöhnlichen
Menschen es nicht wissen, wenn es nur zu ihrem Besten
ist. «
Sally saß mit leicht gebeugtem Kopf still da. Sie hatte
das Gefühl, als entgleite ihr alles.
»Was wollen Sie eigentlich?«, fragte sie schließlich.
»Macht«, antwortete er lapidar. »Macht ist ein
Faszinosum. Soll ich Ihnen sagen, warum? Weil sie
unendlich wandelbar ist. Nehmen Sie zum Beispiel Geld,
also Finanzmacht, mit dem Sie Menschen anstellen ---
Muskelkraft ---, um eine Fabrik zu betreiben; in dieser
Fabrik verbrennen Sie Kohle, also Wärmekraft, und
verwandeln Wasser in Dampf; die Dampfkraft leiten Sie
in die Zylinder von Maschinen und machen

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