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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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daraus
mechanische Kraft und damit bauen sie noch mehr
Maschinen, verkaufen sie und verwandeln Sie so wieder
in Geld oder Finanzmacht. Oder Sie nehmen Ihre
Dampfmaschinen und bauen damit einen Damm, der
große Wassermassen aufstaut; mit dem Wasser betreiben
Sie einen Dynamo, so dass sich die Macht des Geldes in
Wasserkraft verwandelt, die sich wiederum in elektrische
Kraft verwandelt und immer so weiter. Ein anderes Wort
für Macht ist daher Energie. Ein englischer Dichter ---
das hat mir Windlesham gesagt, ich selbst habe keine
Zeit, mich mit Gedichten zu beschäftigen - hat einmal
gesagt, >Energie ist ewige Freude<. Ich könnte es nicht
besser ausdrücken. Vielleicht haben wir dazu Dichter. «
»Sie täuschen sich«, entgegnete sie mit kaum hörbarer
Stimme. »In den Leuten, meine ich. Ich weiß, was die
gewöhnlichen Menschen sagen. Ihre Arbeiter hassen das
Dampfmaschinengewehr, denn sie wissen, was es damit
auf sich hat, und verfluchen es. Sie als Herr über North
Star halten es geheim, weil Sie fürchten, was die Leute
denken könnten, wenn sie Bescheid wüssten - das ist der
einzige Grund. Sie wissen, dass das britische Volk nie
und nimmer für diese Waffe eintreten würde, wenn die
Menschen erkennen würden, wofür sie gebaut wird --- es
ist eine Waffe für Despoten, für Feiglinge. Sie täuschen
sich, Mr. Bellmann. Sie täuschen sich in ihren Arbeitern,
und Sie täuschen sich in mir. «
»Oh, ich habe mich nicht in Ihnen getäuscht«,
widersprach er. »Ich habe Sie von Anfang an bewundert.
Sie haben wirklich Mut, aber Sie sind naiv. Das britische
Volk, vom dem Sie gerade gesprochen haben, soll ich
Ihnen die Wahrheit über dieses Volk sagen? Wenn sie
wüssten, worum es geht, wäre ihnen das einerlei. Sie
hätten keine Bedenken, die schrecklichste Waffe zu
bauen, die jemals erfunden wurde. Keinen Gedanken
würden sie darauf verschwenden. Nein, sie würden ihren
Lohn einstecken und auf den Sportplatz gehen und stolz
auf ihre Kinder sein; ja sie würden sogar stolz auf die
Waffe sein und sie am liebsten mit der britischen Fahne
verzieren und im Varietee Lieder darauf singen. Gewiss,
es gibt auch ein paar Idealisten und Pazifisten ---
harmlose Zeitgenossen. Auch für solche ist Raum. Doch
die Mehrheit ist so, wie ich gerade geschildert habe. Die
Wirklichkeit ist auf meiner Seite. Ich habe Ihnen die
Wahrheit versprochen: Das ist sie. « Und sie wusste, dass
er Recht hatte.
Sie schaute ihn wieder an. Er saß immer noch ruhig und
entspannt, die Beine übereinander geschlagen, die Hände
auf der Lehne des Sessels. Sein Haar schimmerte golden
im Lampenlicht; sein Gesicht war ohne Falten, wie sie
jetzt bemerkte, und strahlte ein Wissen aus, dem ein
Anflug überlegenen Humors beigemischt war, so als
wollte er sagen: Leid, Trauer und Schmerz existieren
zweifellos, aber sie sind nicht das Ganze, sie gehen
vorüber. Die Welt ist heiter, wie das Spiel des
Sonnenlichts auf dem Wasser. Energie ist ewige Freude... »Wissen Sie«, sagte er nach einem Augenblick des
Schweigens, »ich habe einen Fehler begangen, als ich
Lady Mary Wytham um ihre Hand bat. Sie ist sehr schön,
und die Beziehungen, die sie mir eingebracht hat, sind
sehr nützlich, und doch war es ein Fehler. Ich wurde
dadurch genötigt, eine lächerliche Hatz auf diesen
Gespenstermann Mackinnon zu veranstalten --- Sie
kennen ja die Folgen. Nun ist es allerdings zu spät, das
Verlöbnis ist gestorben. Wytham wird am meisten
darunter leiden, aber das ist seine eigene Schuld. Mir ist
eine Idee gekommen, Miss Lockhart. Vielleicht sehen Sie
darin nur einen launigen Einfall, aber es steckt mehr
dahinter. Ich sollte eine junge Frau wie Sie heiraten. Sie
sind stark, mutig, intelligent und kreativ. Lady Marys
Schönheit wäre irgendwann Verwelkt. Die Ihre ist nicht
ätherisch, sondern eine Schönheit des Geistes und des
Charakters, die im Gegenteil noch zunehmen wird. Sie
passen zu mir, und ich passe zu Ihnen. Wir haben
einander bekämpft, wir wissen den anderen
einzuschätzen. Darf ich Ihnen jetzt eine Frage stellen?
Ich weiß, dass Sie sie ehrlich beantworten werden. Ist aus
der Feindschaft, die Sie früher für mich empfunden
haben, so etwas wie Respekt erwachsen?«
»Ja«, flüsterte sie. Ihre Augen waren durch seinen Blick
gebannt; sie wagte sich nicht zu rühren.
»Wir sind in vielem nicht einer Meinung«, fuhr er fort.
»Das ist gut so. Sie besitzen einen unabhängigen
Verstand. Vielleicht bringen Sie mich dazu, meine
Meinung über manche Dinge zu ändern;

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