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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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mein Partner den
Arm. «
»Oh bitte, tun Sie mir nicht weh! Lassen Sie mich los,
bitte -« Auf einen Wink des anderen ließ der Schläger
los, und die Hauswirtin fiel in der engen Diele gegen das
Treppengeländer. »Oben«, keuchte sie, »im zweiten
Stock. «
»Dann gehen Sie voran«, befahl der junge Mann mit
dem Spazierstock. Sie wankte vor ihnen die Treppe
hinauf. Mr. Harris (denn so hieß der junge Mann) stieß
die alte Frau mit seinem Spazierstock in den Rücken und
trieb sie an. »Schneller«, rief er. »Wie heißen Sie
übrigens?« »Mrs. Elphick«, brachte sie mühsam hervor.
»Bitte, mein Herz---« »Ach Gott«, sagte Mr. Harris,
»sicherlich hat es Ihnen Mackinnon gebrochen,
stimmt's?«
Sie waren auf dem Treppenabsatz im ersten Stock
angekommen. Mrs. Elphick fuhr sich mit einer Hand an
die Brust und lehnte sich erschöpft gegen die Wand.
»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen«,
protestierte sie schwach. »Trödeln Sie nicht, sondern
gehn Sie weiter. Wir brauchen eine Frau, deren helles,
reines Licht uns voranleuchtet, nicht wahr, Sackville?«
Der Schläger grunzte affenhaft als Ausdruck seiner
Zustimmung und trieb Mrs. Elphick wieder an. Sie
stiegen die zweite Treppe hinauf und hielten vor der Tür
des ersten Zimmers an. »Nun Sackville«, sagte Mr.
Harris, »hier sind deine besonderen Talente gefragt. Mrs.
Elphick, was Sie nun zu sehen bekommen, wird Sie
betrüben, doch es lässt sich leider nicht vermeiden. «
»Oh, bitte nicht ---«, sagte die alte Frau noch, als
Sackville einen Schritt Abstand nahm und dann mit dem
Stiefel hart gegen die Tür gerade in Höhe des Schlosses
trat. Die Tür splitterte und brach auf; von drinnen kam
ein Entsetzensschrei. Sackville schob die zerbrochene
Tür beiseite und hielt sie für Mr. Harris auf, der, mit
seinem Stock spielend und neugierige Blicke werfend,
gemächlich hereinspaziert kam.
Isabel Meredith, die eine Hälfte ihres Gesichts
kreidebleich, die andere glühendrot wie Feuer, stand an
ihrem Tisch und hielt eine komplizierte Stickerei in der
Hand.
»Was wollen Sie von mir?«, flüsterte sie. »Wer sind
Sie?« »Mackinnon wollen wir. Sie kümmern sich doch
um ihn. Weiß das eigentlich Ihre Zimmerwirtin?«, fragte
Mr. Harris boshaft. Und zu Mrs. Elphick gewandt:
»Wussten Sie, Gnädigste, dass Ihre Mieterin einem Mann
hier Unterschlupf gewährt? Ich nenne ihn mal einen
Mann, obgleich er ständig wegrennt, was ein Mann
gewöhnlich nicht tut. Ist er hier im Zimmer, Miss
Feuermal?«
Isabel rang nach Luft. Auch ohne ihre Entstellung wäre
sie nicht schön gewesen, ihr fehlte jede Vitalität. Sie war
blanke Grausamkeit nicht gewohnt und wusste nichts zu
erwidern. »Ich habe gefragt, ob er hier ist«, sagte Harris.
»Vielleicht unter dem Bett? Sackville, schau doch mal
nach. «
Sackville hob das eiserne Bettgestell hoch und kippte es
auf den Fußboden. Zum Vorschein kam aber nur ein
verblichener Porzellannachttopf. Isabel verbarg ihr
Gesicht.
»Ach, wie schön, Sackville«, höhnte Mr. Harris. »Ein
niedliches kleines Furzdöschen. Schau nach, ob er sich
nicht da drin versteckt hat. «
Sackville versetzte dem Nachttopf einen gezielten Tritt,
so dass er in tausend Scherben zersprang.
»Bitte -«, flehte Isabel. »Er ist nicht hier - ich versichere
Ihnen -« »Wo ist er dann?«
»Ich weiß es nicht! Ich habe ihn schon seit Tagen nicht
mehr gesehen! Bitte!«
»Aha, aber Sie haben ihm geholfen, richtig? Bös, bös.
Und versuchen Sie nicht, es abzustreiten --- man hat Sie
gesehen. So ein Gesicht bleibt nicht unbemerkt. «
»Was wollen Sie denn?«, schrie sie. »Bitte, lassen Sie
mich in Ruhe! Ich weiß nicht, wo er ist --- ich schwöre es
---« »Ach, es ist ein Jammer. « Harris schaute sich um.
»Aber ich bin nun einmal ein argwöhnischer Mensch,
mein Vertrauen in die menschliche Natur ist begrenzt ---
und ich habe den Eindruck, dass man mich belügt. Ich
muss jetzt den guten Sackville bitten, er möge doch so
nett sein und all die feinen Sächelchen vor Ihren Augen
zu zerreißen und ins Feuer zu werfen. Er könnte auch Ihr
Gesicht ein bisschen demolieren, aber so, wie Sie
aussehen, wäre das pure Verschwendung, keiner würde
den Unterschied bemerken. Also an die Arbeit,
Sackville.«
»Nein, bitte nicht! Das ist alles, was ich auf der Welt
habe! Davon lebe ich --- ich flehe Sie an ---«
Sie fiel ihm zu Füßen und ergriff seinen Mantel.
Sackville zog die Tischdecke herunter und zerriss sie in
Streifen. Sie weinte und zupfte an Mr. Harris' Mantel,
doch

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