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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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welken sofort, wenn man sie in die Vase stellt.«
    Er nahm ihr die Blume aus der Hand und wies auf ihre Spitze, eine Traube geschlossener Knospen.
    »Weißt du, dass man an ihnen den Verlauf des Sommers ablesen kann?«
    »Tatsächlich? Wie denn?«
    »Die Blüte beginnt von unten. Sie läuft nach einer gewissen Ordnung ab, bei der die untersten Blüten zuerst blühen und die obersten warten müssen.«
    Er hielt den Stengel so, dass sie es sehen konnte.
    »Ungefähr so, schau. Wenn diese hier verblüht sind, welken sie, und dann kann die nächste Reihe aufblühen. Und wenn die allerletzten Knospen ganz oben aufgeblüht sind, tja, dann weiß man, dass der Sommer vorbei ist.«
    »Oh, wie schicksalsträchtig das klingt.«
    Er lächelte ein wenig.
    »Woher weißt du das eigentlich?«, fragte sie, denn er kannte sich eigentlich nicht sonderlich gut aus mit Pflanzen. »Woher weißt du, dass es so ist?«
    »Meine Oma hat es erzählt. Meine Oma aus Burträsk.«
    »Oh, du hast eine Oma da gehabt, das wusste ich nicht.«
    »Sie ist seit vielen Jahren tot. Ich habe eine Zeit lang bei ihr gewohnt. Als es mit meiner Mutter und meinem Vater kompliziert wurde.«
    »Inwiefern kompliziert?«
    »Na ja, wie es manchmal eben vorkommt. In den besten Familien.«
    Jill spürte, dass er das Thema beenden wollte. Sie betrachtete erneut das rotlilafarbene Blumenmeer.
    »Kannte sie sich mit Pflanzen gut aus? Ich stelle sie mir als kleines Weib in einem grünen Kräutergarten vor.«
    »Das ist ein gutes Bild. Zum Schluss war sie auch wie ein kleines Weib. Allerdings nicht gerade in einem Kräutergarten, denn so etwas findet man selten in einem Pflegeheim.«
    Jill beugte sich vor und roch an den aufgegangenen Blüten. Sie dufteten nicht.
    »Wir scheinen auf jeden Fall noch einen Teil des Sommers vor uns zu haben«, schloss sie. »Unglaublich, was die Natur mit ihrem ganz eigenen Kalender so alles hervorbringt.«
    Er lachte, sie hatte ihn zum Lachen gebracht.
     
    Über das Internet hatten sie ein Zimmer in einem Hotel kurz vor Vesterålen gebucht. Auf den Bildern hatte es hübsch und gepflegt ausgesehen, zudem war es schön gelegen, direkt am Strand. Sie hatten allerdings keine Bestätigung erhalten, woraufhin Jill mehrfach versucht hatte anzurufen, jedoch ohne Erfolg.
    Das wird sich schon klären, dachte sie.
    Noch war es heller Abend.
    Jetzt näherten sie sich dem Hotel. Doch schon von Weitem stellten sie fest, dass etwas nicht stimmte. Das Gebäude lag dort, genau wie auf den Bildern, und sie sahen auch das Wort Hotel in großen Lettern auf einem der Giebel prangen. Doch die Eingangstüren waren verrammelt. Tor fuhr auf den Hof, der mit Spielsachen, alten Fahrrädern und rostigen Bettgestellen übersät war. Im Obergeschoss schaute ein dunkelhäutiger Mann aus dem Fenster. Als sie ihn erblickten, zog er schnell die Gardine zu.
    Sie schlossen das Auto ab und gingen hinein. Verlassene Korridore, schäbig und heruntergekommen. Nach einer Weile fanden sie einen Rezeptionstresen, vor dem sie unschlüssig stehen blieben. Von weither vernahmen sie die Geräusche eines Fernsehers, ein Unterhaltungsprogramm mit künstlich unterlegtem Lachen. Durch das Rauschen hörten sie das schrille und untröstliche Schreien eines Kleinkindes. Tor öffnete eine Tür einen Spalt breit, sie konnten einen Billardtisch und eine leere Theke erkennen.
    »Wir gehen«, sagte er schnell. »Das hier ist mir nicht ganz geheuer.«
    »Okay«, flüsterte sie.
    Als sie sich zum Gehen wandten, stand eine Frau in der Tür. Sie sah asiatisch aus, war klein gewachsen und trug lange Hosen und ein Poloshirt. Sie riss die Augen auf und starrte sie mit einem derart verängstigten Blick an, dass sie nicht wussten, wie sie reagieren sollten. Eine ganze Weile blieben sie wie paralysiert stehen.
    Tor reagierte als Erster. Er machte einen Schritt auf die Frau zu.
    »Entschuldigen Sie, aber ist das hier ein Hotel?«
    Die Frau hob langsam die Hände und verschränkte sie unter dem Kinn. Sie antwortete nicht.
    »Es steht ja Hotel auf dem Schild«, fügte er hinzu. »Es steht dort, also dachten wir …«
    Da erst begann sie, den Kopf zu schütteln, erst zögerlich und dann heftiger. Die ganze Zeit hatte sie den Blick fest auf Jill geheftet, flehend, wie in stummem, starrem Entsetzen. Jill hatte diesen Blick schon einmal gesehen, sie erkannte ihn wieder, diesen wahnsinnigen Schrecken, sie hatte ihn bei Schweinen auf dem Weg zum Schlachter und auch bei Panda, ihrem Lieblingspferd in der Reitschule,

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