Der Schatten im Wasser
stockbesoffen, aber nicht auf eine unangenehme Art, sondern eher wie … es war, als würde sich dieser Zustand unmittelbar auf mich übertragen, ich wurde sozusagen high davon, in der Tür zu stehen und sie anzusehen.«
»Hm. Hast du irgendeine Deutung dafür?«
»Nein.«
Jill hatte selbst oft von Berit geträumt, schlimme, völlig verrückte Träume, doch es passierte immer seltener. Es war schon so lange her, dass Berit verschwunden war. Irgendwo in ihrem Inneren wusste sie, dass die Hoffnung, sie irgendwann wiederzusehen, vergebens war.
Nie würde sie das erste Telefongespräch vergessen. Es war an einem frühen Montagmorgen, dem Tag nach Berits Verschwinden. Sie hatte Nachtschicht gehabt und kam gerade heim, ihr Auto war nicht angesprungen, sodass sie gezwungen war, den ganzen Weg in der Dunkelheit zu Fuß zu gehen. Die Bürgersteige waren vereist, und mehrmals war sie beinahe ausgerutscht. In ihrem Kopf rauschte es vor Müdigkeit. Bis nach draußen in den Garten hörte sie das Klingeln des Telefons.
Es war Tor Assarsson, Berits Mann. Seine Stimme klang aufgebracht, und er schien den Tränen nahe:
»Aber du musst, musst doch wissen, wo sie ist!«
Musst! Eine Beschwörung.
Berit und sie hatten sich eine Woche lang nicht gesehen, nur einmal ganz kurz telefoniert. Sie hatten lose verabredet, gemeinsam ins Kino zu gehen. Jill war gerade erst nach Södertälje gezogen, und wenn es abends etwas später wurde, übernachtete sie öfter in Berits und Tors Arbeitszimmer in ihrem Haus in Norra Ängby.
Er kam am späten Montagabend zu ihr nach Hause, plötzlich krumm und gebückt. Nie zuvor hatte sie ihn so gesehen. Sie kochte einen starken schwarzen Kaffee, den keiner von ihnen trank. Jill hatte gerade ihre drei Arbeitsschichten abgeschlossen, in zwei Tagen und Nächten hatte sie gerade mal vier Stunden geschlafen. Sie fühlte sich ganz leer vor Müdigkeit, fand, dass er übertrieb. Er ergriff ihre Arme und hielt sie fest:
»Hat sie etwas zu dir gesagt, was hat sie gesagt?«
»Tor …«
»Ich meine, über mich, über uns!«
Wie ehrlich sollte sie sein?
»Angedeutet, vielleicht«, murmelte sie. Die Unruhe pochte in ihr, ihr wurde heiß. Sie musste aufspringen und das Fenster öffnen. Feuchtkalte Februarluft strömte in die Küche.
Tor presste seine Fingerspitzen an die Schläfen. Seine Wangen hatten einen gräulichen Ton angenommen, er schien direkt in die Haut gedrungen zu sein.
»Als Mann und Ehegatte hat man wohl niemals Zugang!«
»Wieso? Was meinst du?«
»Ich war da draußen bei dieser Frau Dalvik und habe mich ein bisschen mit ihr unterhalten. Die in Hässelby, diese völlig verrückte Tante, die mit den Sandypastillen. Ihr wart doch Klassenkameraden.«
»Justine?«, fragte sie matt.
»Justine, ja, was für ein verdammter Name! Zu ihr begab sich meine Frau nämlich, um ihr Gewissen zu erleichtern. Von einer fremden Frau in Hässelby musste ich erfahren, dass Berit mit unserer ehelichen Situation nicht zufrieden ist. Mit unserem gemeinsamen Leben.«
Ohne zu fragen, zündete er sich eine Zigarette an.
»Es besteht also die Möglichkeit, dass inzwischen der gesamte Großraum von Stockholm einen Einblick in den intimsten Bereich des Zusammenlebens der Eheleute Assarsson erhalten hat.«
Er schnaubte verächtlich und blies Rauch aus, er befand sich offensichtlich noch in dem Stadium, in dem der Ärger größer zu sein schien als die Angst.
»Aber so ist es doch gar nicht«, protestierte Jill.
»Was weißt du denn schon darüber? Was hat sie dir gesagt? Oder angedeutet?« Er äffte ihre Stimme nach. Er stand auf und begann, zwischen dem Tisch und der Spüle auf und ab zu wandern. Die Hosenbeine seiner dunkelgrauen Hose waren ein wenig zu kurz.
»Nur, dass sie … vielleicht etwas von Gewohnheit.«
Er fuhr mit rotgeränderten Augen herum.
»Aber das passiert doch in jeder Ehe«, beeilte sie sich hinzuzufügen. »Früher oder später. Es ist doch wohl eher die Regel als die Ausnahme.«
Er drehte den Wasserhahn auf und löschte die Kippe, seine Stimme war jetzt klar wie Kristall:
»Glaubst du, dass sie möglicherweise verreist ist? Könnte sie das getan haben, um mir Angst einzujagen?«
»Warum sollte sie das wollen? Dir Angst einjagen?«
»Oder vielleicht nicht gerade Angst einjagen. Eher mich wachrütteln. Falls sie nun denkt, dass ich schlafe.« Er lachte trocken, trotz des Ernstes der Situation sichtlich zufrieden mit seiner Formulierung.
»Aber warum, zum Teufel, ist sie nach Hässelby
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