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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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Materials den Dreck geradezu anzog. Wie oft hatte er sie schon wie ein Riesenbaby auf dem Boden herumkriechen und Fasern sowie Haarsträhnen von Hand aufsammeln sehen.
    Vor Zimmer Nummer acht hatte eines Abends ein Gast aus Versehen ein Glas Rotwein auf dem damals nagelneuen Teppich verschüttet, und trotz energischer Versuche sowohl mit Salz als auch Spiritus hatten sich die Flecken nicht entfernen lassen. Hans Peter konnte sie von dort, wo er stand, deutlich erkennen, und ihn überkam eine plötzliche Mattigkeit.
    Noch einmal rief er, diesmal lauter:
    »Uffe, wo zum Teufel steckst du?«
    Jetzt endlich tat sich etwas am Endes des Korridors. Eine der Türen wurde geöffnet, es war die zu Zimmer Nummer zehn, ein Nichtraucherzimmer. Sein Chef lugte, nur ein Handtuch um die Hüften gewickelt, heraus. Das feuchte Haar stand in Büscheln von seinem Kopf ab. Hans Peter hatte ihn noch nie anders als ordentlich gekleidet gesehen, im Anzug oder gepflegtem Blazer und mit passender Hose. Ihm wurde bewusst, dass er ihn anstarrte.
    »Ich habe nur kurz geduscht«, erklärte Ulf, und in seinem Tonfall schwang eine ihm bislang unbekannte Gereiztheit mit. »Man bekommt ja Fieber von dieser verdammten Hitze. Komm rein.«
    Er machte eine einladende Geste. Irgendwie hatte Ulf eine bisher nicht dagewesene Schutzlosigkeit an sich, die Hans Peters Gefühl von Unlust noch verstärkte. Sein unbehaarter Brustkorb mit den sich deutlich abzeichnenden Rippen wirkte extrem mager, und seine Arme hingen derart schlaff herunter, als hätten sie überhaupt keine Muskeln. Die Haut über den Schultern war gespannt und gelblich bleich, wie bei einem Lagerinsassen.
    »Wie geht’s?«, fragte Hans Peter ohne großes Engagement.
    Ulf schnalzte mit der Zunge, antwortete jedoch nicht. Er fingerte planlos an seinem Handtuch herum.
    Abgesehen von den Zimmern und der Kochnische hinter dem Tresen besaß das Hotel keine Räume, in denen man ungestört reden konnte. Nicht einmal in dem kleinen Frühstücksraum neben der Rezeption, der früher ein Teil des Eingangsbereiches gewesen war. Hier gingen die Fenster zur Straße, sodass die Gäste aus eher ländlichen Regionen dort sitzen und die Ströme der gestressten Stockholmer auf dem Weg zu ihren Arbeitsplätzen beobachten konnten. Ulf hatte dort einige Tische und Stühle aufstellen lassen und ein Büfett, auf dem das Frühstück bereitgestellt wurde. Ein recht einfaches Frühstück, nicht so aufwändig wie bei den exklusiveren Konkurrenten. Naturbelassene Dickmilch mit Flakes, zwei Sorten Brot, hausgemachte Orangenmarmelade, Mettwurst und Käse sowie Thermoskannen mit Tee und Kaffee. Ulfs betagte Mutter hatte den Frühstücksservice übernommen. Sie war über achtzig Jahre alt, aber noch ziemlich agil. Sie sprang selbst für Ariadne ein, wenn diese krank war.
    Zimmer Nummer zehn war noch nicht saubergemacht. Ulf strich das Bettzeug glatt und bedeutete Hans Peter, sich zu setzen. Sowohl das Laken als auch die Bettwäsche waren blau-weiß kariert, was einen gewissen Eindruck von Luxus erwecken sollte. Ulfs Kleider hingen über dem Sessel, schwarze Hosen mit Bügelfalte und ein weißes Oberhemd. Leinensakko und Schlips. Er wandte sich ab und stieg in ein Paar gemusterte Boxershorts. Als das Handtuch zu Boden glitt, erblickte Hans Peter für einen kurzen Moment seine mageren Pobacken. Er schluckte peinlich berührt und änderte seine Sitzposition, lehnte die Schultern gegen die Wand. Sein Rücken schmerzte ein wenig. Es ging ihm manchmal so, wenn er nicht richtig entspannen konnte.
    »Wie verdammt heiß es ist«, murrte Ulf erneut.
    »Ja. Stimmt. Aber das ändert sich bald, sie haben es gestern im Wetterbericht angekündigt.«
    Ulf lachte auf. Er nahm seine Kleider und verschwand im Bad. Die Tür ließ er offen.
    »Die sagen so viel.«
    »Ja, stimmt auch wieder. Wie zum Beispiel letzten Sommer. Wie oft sie da von Hochdruck gefaselt haben. Stattdessen hat es nur geregnet und geregnet.«
    »Mmm. Ach, übrigens nett, dass du so früh kommen konntest.«
    »Schon okay.«
    Er vernahm das weiche Rascheln von Kleidern aus dem Badezimmer.
    »Ich habe Ariadne vorhin getroffen«, bemerkte er.
    »Aha.«
    »Hast du sie gesehen?«
    »Ja, wieso?«
    »Sie sah nicht besonders gut aus. Sie ist gefallen, behauptet sie jedenfalls.«
    Ulf kam aus dem Bad. Er steckte das Hemd in die Hose und schnallte den Gürtel zu.
    »Aha.«
    »Tja. Bei sich zu Hause die Treppe runtergefallen.«
    »Mag sein«, entgegnete er uninteressiert.
    Hans Peter

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