Der Schatten im Wasser
benutzt, und er erinnerte sich noch genau, wie sie ihn ansah, als sie sie aussprach. Ihre Augen, die vor Tränen überquollen. Wie sie ihn an sich drückte und umarmte, ihr saurer Geruch nach Schweiß.
Nie so geliebt. Es hatte selbstlos und schön geklungen. Wie aus einem Lied. Er hätte sich damit zufriedengeben und das Ganze auf sich beruhen lassen können. Trauern und ihn gemeinsam mit ihr vermissen.
Doch dann war ein Mann in ihrem Haus eingezogen. Die Frau im Steinhaus hatte Nathan im Stich gelassen, nicht nur einmal, sondern mehrmals.
ARIADNES PUTZWAGEN stand an die Wand geschoben, beladen mit Toilettenpapierrollen. kleinen Seifen, Shampoopackungen, Reinigungsspray, Scheuerpulver und Stapeln von sauberen Handtüchern. Hans Peter stolperte beinahe über einen Haufen benutzter Laken und stieß irritiert einen Fluch aus. Sicherlich waren so früh am Nachmittag selten Gäste im Hotel, aber dennoch hätte sie die Wäsche zur Seite räumen können, bevor sie ging. Sollte er versuchen, sie darauf anzusprechen, wenn sie zurückkam? Wie würde sie es in ihrem angeschlagenen Zustand aufnehmen? Ihm fiel auf, dass er sie, obwohl sie seit mehreren Jahren Kollegen waren, nur schwer einschätzen konnte.
Früher fühlte er sich oft gestört, wenn sie ihre Tochter dabeihatte. Das Mädchen lag auf der Pritsche in der Portierloge und futterte Süßigkeiten, sodass hinterher alles klebrig war. Selbst seine Bücher. Aber er sagte nie etwas. Er begriff natürlich, dass es nicht einfach war, einen Babysitter zu finden. Aber dass sie wie selbstverständlich davon ausging, ihr Kind mit zur Arbeit nehmen zu können, ärgerte ihn. Sie hätte zumindest fragen können. Manchmal hatte er versucht, mit dem Mädchen zu reden, sich ihr zu nähern. Er wusste nicht besonders viel über Kinder. Sie wandte ihm zwar ihre leeren Augen zu, doch es geschah nur selten, dass sie antwortete. Wilde, zerzauste Haarsträhnen auf dem Kissen. Christa hieß sie. Wie alt mochte sie wohl jetzt sein? In der Vorpubertät?
Alle Hotelzimmer befanden sich im Obergeschoss. Sie lagen in einer Reihe, Raucher zum Garten hin, Nichtraucher zur Drottninggata. In der Mitte erstreckte sich ein langer, fensterloser Korridor, der inzwischen in einem zarten Aprikosenton gestrichen war. Ungefähr auf halber Höhe verlief eine Bordüre mit einem Muster aus antiken Amphoren. Ariadne hatte gestrahlt, als sie das Motiv zum ersten Mal sah, ihr Blick schweifte in die Ferne und wurde ganz mild. Das Muster wiederholte sich übrigens auf den Türen in Form einer hellgrauen Urne, die, jeweils mittig angebracht, die in olivgrün gehaltene Zimmernummer einrahmte.
Hans Peter schob die Bettwäsche mit dem Fuß unter den Putzwagen. Die Tür zu Zimmer Nummer fünf war angelehnt, und von innen konnte man flotte Tanzmusik hören. Ariadne hatte oft das Radio an, wenn sie putzte, und an manchen Tagen sang sie den Refrain mit. Sie hatte eine kräftige, volle Altstimme. Doch heute war anscheinend kein solcher Tag, dachte er, kein Tag zum Singen.
Er öffnete die Tür ganz und schaute hinein. In der Toilette war Licht, die Wasserspuren auf dem Boden deuteten darauf hin, dass der Übernachtungsgast beim Duschen den Duschvorhang nicht ordentlich zugezogen hatte.
»Ulf«, rief er, obwohl er sah, dass das Zimmer leer war.
Keine Antwort.
Er machte kehrt und ging über den dicken, kalkweißen Teppich im Korridor, der an diesem Vormittag offensichtlich noch nicht gesaugt worden war. Das konnte man nur allzu deutlich erkennen. Und wieder einmal ärgerte er sich darüber, dass sie sich nicht für eine andere Sorte entschieden hatten. Doch sowohl Ulf als auch er hatten sich draußen im Teppichcenter in Barkarby überreden lassen. Der Teppich war für öffentliche Räume wie gemacht, hatte der Verkäufer erklärt.
»Eventuelle Dreckspuren sieht man nicht, sie werden sozusagen direkt von den Fasern aufgenommen, sind aber gleichwohl mit einem anständigen Staubsauger ganz einfach zu entfernen. Und schauen Sie, was für ein Glanz! Ein außerordentlich exklusiver Teppich, wie gemacht für Ihre Gäste. Wenn Sie mich fragen, würde ich Ihnen raten, gerade jetzt, nachdem Sie so viel Geld in die Renovierungsarbeiten gesteckt haben, in etwas Hochwertiges zu investieren.«
Ariadne war so manches Mal dem Verzweifeln nahe, wenn sie den Teppich mit dem Mundstück des Staubsaugers bearbeitete.
»Sich doch, alle Fasern, sie kommen wie elektrisch zum Teppich.« Was sie meinte, war, dass die statische Elektrizität des
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